Mobil, aber unbeweglich – wie die Automobilindustrie um street credibility ringt

Es beginnt ganz häufig mit verbalen Veränderungen. Wo einst „Verlag“ draufstand, prangt seit geraumer Zeit die Bezeichnung „Medienhaus“. Wo man früher national-stolz „British“ war, so deutet BP mittlerweile durch „Beyond Petrol“ an, dass man sich der knapp werdenden Ressourcen im Kerngeschäft bewusst sei. Und die klassischen Automobilhersteller mutieren reihenweise zur „Mobilitätslösung“ und gelegentlich auch zum Mobility-Dienstleister.

Doch anders als bei der legendären „Aus Raider wird Twix“ Markenkampagne liegen der Neufirmierung der genannten Industrieteilnehmer nicht nur Marketingüberlegungen zugrunde. Aus manchen Wortungetümen spricht veritable Verzweiflung. Um nur ja nicht als rückwärtsgewandt zu gelten, soll nach Außen demonstriert werden, dass man sehr wohl begriffen habe, wohin die Branchenreise angesichts fundamentaler Herausforderungen geht. Weiterlesen

Lebensmittel: Handel gegen Hersteller – wo bleiben da die Verbraucher?

„Seit dreißig Jahren bin ich im Buchgeschäft tätig, und es ist immer dieselbe Geschichte: Die Verleger müssen nach der Pfeife der Händler tanzen. Früher bestimmten die Buchhandelsketten wie Barnes & Noble, heute bestimmt Amazon.“

Was der Literaturagent Andrew Wylie, in seiner Branche „der Schakal“ genannt, im Interview mit der FAZ beklagt, ist auch in anderen Branchen abseits des Buchmarkts ein bekanntes Szenario. Die Dominanz des Handels gegenüber Herstellern wird beispielsweise in der Lebensmittelbranche besonders deutlich. Der Lebensmitteleinzelhandel (LEH) setzt seine Machtposition als „Gatekeeper“ zum Verbraucher insbesondere gegenüber den Herstellern sog. „schnell drehender Konsumgüter“ (FMCG) seit Jahrzehnten gewinnbringend ein – ein Umstand, den Vertreter des LEH vermutlich mit einem entsprechenden Euphemismus umschreiben würden.

Aufgrund dieser Situation herrscht bei einigen Herstellern geradezu panische Angst vor einer weiteren Verschlechterung der Geschäftsbeziehungen zu Handelsunternehmen, was vor allem dann deutlich zu Tage tritt, wenn es um Themen wie z.B. Direktvertrieb geht. Reflexartig ruft die Vertriebsabteilung zur Ordnung, wann immer ein solcher Vorschlag im Unternehmen die Runde macht. Und diese Ordnung heißt: Hände weg von solchen Plänen, andernfalls müssen wir das im nächsten Jahresgespräch ausbaden.

Dabei agiert der Handel gegenüber Herstellern in keiner Weise auch nur annähernd so sensibel, Im Gegenteil: Der Drohung mit Auslistung bei mangelnder Kooperationsbereitschaft (also i.d.R. Zahlungsbereitschaft) folgt nicht selten die Platzierung von Eigenmarken des Handels im unmittelbaren Produktumfeld der Hersteller. Nun sind die Daumenschrauben angezogen und die Zwickmühle für die Produzenten perfekt: Auf der einen Seite Druck angesichts schwindender Regalmeter am Point-of-Sale (PoS) immer schlechtere Margen und/oder Platzierungen akzeptieren zu müssen, andererseits die preisliche Konkurrenz durch Handelsmarken. Augenhöhe ist in dieser Geschäftsbeziehung längst ein Fremdwort.

Doch auch die Vorgehensweise der Handelsunternehmen gegenüber den Herstellern hat eine Historie und entsprechende Ursachen. So ist es insbesondere für den LEH sehr schwer (v.a. in Deutschland) entsprechende Margen in ihrem Kerngeschäft zu erzielen. Ein größerer Supermarkt-Konzern wird kaum mehr als zwei bis drei Prozent an Wert schöpfen, z.T. sogar weniger. Anders ausgedrückt: Von 100 Euro, die wir Kunden im Supermarkt ausgeben, bleiben gerade einmal zwei bis drei Euro an Gewinn beim Händler hängen.

Das wissen natürlich auch die Einzelhändler. Und es wäre naiv anzunehmen, dass sie sich mit der Situation abfinden würden. Statt dessen versuchen sie mehrere Entwicklungen zu ihrem Vorteil zu nutzen. So hat die Konsolidierung im Handel in den letzten Jahren dazu geführt, dass die Machtposition gegenüber den Markenherstellern weiter ausgebaut werden konnte. Darüber hinaus steigt der Anteil an Eigenmarken in den umsatzstarken Kategorien. Die Nachfragemacht des Handels sorgt bei Konditionsverhandlungen dafür, dass die Gewinnmargen der Hersteller weiter sinken und Marktrisiken verstärkt von den Herstellern getragen werden müssen. Das Ziel ist klar. Mittelfristig wird der Handel höhere Endverbraucherpreise durchsetzen um seine heute geringen Margen signifikant zu erhöhen.

Es drängt sich daher die Frage auf, wo in diesem Konstrukt eigentlich der Verbraucher steht. Wie groß ist Verbrauchermacht wirklich, wenn das Geschäft mit Lebensmitteln von ein paar wenigen Multis kontrolliert wird – nicht nur auf Händler-, sondern natürlich auch auf FMCG-Seite?

Natürlich fordern Verbraucher zunehmend Transparenz in Sachen Herkunft von Lebensmitteln, aber wie einfach ist das durchzusetzen? „Bio“ ist für Lebensmittelproduzenten längst kein Differenzierungsmerkmal mehr, sondern opportunistisches Marketingargument. Selbst „Fairtrade“ bietet keine Sicherheit für nachhaltigen Konsum. Zumal sich dabei immer die Frage stellt, wer (auf Hersteller-, Händler- und Informationsseite) welche Interessen verfolgt und wie es demnach mit der Glaubwürdigkeit bestellt ist.

Es bleibt uns Verbrauchern nichts anderes übrig als zukünftig noch genauer hinzusehen. Dazu gehört ein gewisses Know-how in Sachen Lebensmittel ebenso wie Grundwissen über Handel, Produktion und Nachhaltigkeit. Nur ein aufgeklärter Verbraucher kann kluge Konsumentscheidungen treffen. Und das müssen wir, wenn uns daran gelegen ist uns angesichts geballten Industriemarketings gut und verantwortungsvoll zu ernähren. Regionalität und Saisonalität können dabei entscheidende Schlüssel sein, vorausgesetzt, wir wissen uns ihrer zu bedienen.

Karstadt – (m)ein persönliches Aufnimmerwiedersehen

Ein wenig überrascht war ich schon, als ich die Meldung las, dass Breuninger jüngst zum drittbesten Kaufhaus der Welt gewählt wurde – hinter Selfridges (UK) und Macy’s (USA). Ich muss allerdings zugeben, dass ich Breuninger aus eigener Anschauung nur aus meiner (lange zurückliegenden) Studentenzeit in Würzburg kenne. Meine Überraschung rührt auch eher daher, dass es hierzulande offensichtlich eine Warenhauskette mit Potenzial gibt.

Dieses Potenzial spricht man den beiden großen Warenhausbetreibern in Deutschland gemeinhin ab, wobei die Metro-Tochter Kaufhof insgesamt vergleichsweise gut dasteht. Karstadt ist das Problem. In der vergangenen Woche schmiss Eva-Lotta Sjöstedt nach nur vier Monaten als Geschäftsführerin das Handtuch. Grund sind offenbar sehr unterschiedliche Vorstellungen zwischen Management und Gesellschaftern hinsichtlich (dringend benötigter) Investitionen.

Nun will Mehrheitsgesellschafter Nicolas Berggruen Karstadt wohl an seinen Mitgesellschafter abstoßen. Der österreichische Immobilieninvestor Signa, der neben den Luxushäusern Oberpollinger (München), KaDeWe (Berlin) und Alsterhaus (Hamburg) bereits mehr als 20 Karstadt-Immobilien besitzt, könnte die restlichen Kaufhäuser der Gruppe wohl für einen symbolischen Euro erwerben. Eine weitere Option wäre eine Übernahme durch Kaufhof, was die Metro-Gruppe jedoch ablehnt. Die SZ (Nr. 158 vom 12./13.7.14) mutmaßt, dass dafür ohnehin nur etwa 20 (von mehr als 80) Filialen in Frage kämen.

Wie konnte das passieren? Wie konnte eine so fest mit deutschen Einkaufsstraßen verbundene Warenhaus-Marke wie Karstadt in eine so verzweifelte Lage geraten? Die Situation um Nicolas Berggruen und Signa ist sicherlich nicht unkompliziert, soll aber hier keine größere Rolle spielen. Viel mehr interessiert mich, welche Fehler bei Karstadt selbst gemacht wurden und werden. Ich glaube nämlich, dass ein Blick auf die Historie und Gegenwart des derzeitigen Karstadt-Dramas stellvertretend für die Probleme eines Großteils des stationären Handels sein dürfte.

Meine Perspektive dabei? Die des interessierten und engagierten Verbrauchers. Ich gehe (bzw. ging) nämlich grundsätzlich ganz gerne zu Karstadt. Genauer gesagt ist (bzw. war) Karstadt sogar fast immer meine erste Anlaufstelle beim Offline-Shopping. Ja, richtig gelesen: beim Offline-Shopping. Denn der große Unterschied zu früher ist, dass Online die Regel und der Laden die Ausnahme für mich ist. Ich verschone den geneigten Leser an dieser Stelle mit Ausführungen zu Multichannel & Co., mir geht es um meine ganz persönliche Wahrnehmung als Kunde in der Karstadt-Filiale.

Erste Anlaufstelle ist (bzw. war) Karstadt für mich vor allem deshalb, weil das Sortiment sehr breit ist. Ich bekomme nahezu alles unter einem Dach und muss nicht von Geschäft zu Geschäft laufen. Früher wurde man für eine solche Haltung mitunter kritisiert, da man den übrigen Einzelhandel auf diese Weise verschmähte. Heute ist Online-Shopping angeblich die Wurzel allen Übels, da die innen- und innerstädtischen Strukturen auf diese Weise zerstört würden. Beide Argumentationen halte ich für ausgemachten Blödsinn.

Zurück zu Karstadt, genauer gesagt: zur Kölner Filiale auf der Breite Straße. Und hier merkt der erfahrene Karstadt-Shopper: Der Mann hat Glück, denn in der Provinz (nicht abwertend gemeint) ist Karstadt nicht unbedingt gleich Karstadt. Köln also. Im Untergeschoss befindet sich eine gehobene Lebensmittelabteilung („perfetto“). Früher bestach sie durch qualitativ einzigartiges Obst/Gemüse, doch diese Zeiten scheinen längst vorbei. Immer öfter mache ich die Erfahrung, dass entweder vieles ausverkauft oder das Obst und Gemüse von durchschnittlicher Qualität ist. Auch kann ich mich nicht daran erinnern, dass der Marktleiter früher angeschimmelte Erdbeeren oder von Fliegen übersäte Tomaten toleriert hätte. Das Know-how an der Fleischtheke (und ich bin wahrlich kein Experte) ist manchmal unterirdisch. Kurz: Es gibt für mich keinen Grund mehr bei perfetto einzukaufen.

Womit ich zum Personal komme. Das wäre m.E. der mit Abstand größte Wettbewerbsvorteil des stationären Handels am Point-of-Sale gegenüber allen Formen des Distanzhandels. Ich bleibe im Konjunktiv, denn an dieser Stelle herrscht die größte Diskrepanz zwischen Chance, Anspruch und Realität vor. Um eines gleich klarzustellen: Die Probleme sind durch die Konzernführung und das höhere Management verursacht, die/der einzelne VerkäuferIn ist das schwächste Glied in dieser Kette. Man merkt den bedauernswerten Menschen zunehmend eine große Verunsicherung an, und unter dieser leidet die Motivation gewaltig.

Ich möchte freundlich bedient werden; nicht mehr, aber auch nicht weniger. Ich verzichte an dieser Stelle auch auf ein (vermutlich unfaires) Benchmarking mit japanischen Supermärkte, bei denen der Kunde tatsächlich noch König oder eher Kaiser (pun intended!) ist. Ich verlange auch keine permanente Bauchpinselei oder übertriebene Unterwürfigkeit. Ich möchte einfach nur netten, guten und aufmerksamen Service. Doch das ist offenbar bereits zu viel verlangt.

Meine frustrierenden Besuche bei Karstadt kann ich inzwischen nicht mehr an zwei Händen abzählen. Manchmal ist das auch lustig (wenn man Galgenhumor mag), denn ich achte gelegentlich ganz bewusst darauf, mit welchen Tricks sich die MitarbeiterInnen aus meiner Shopping-Umgebung entfernen, sobald ich ihren Bereich oder ihre Abteilung betrete.

Natürlich gab 8und gibt es auch tolle Erfahrungen bei Karstadt (erst vor ein paar Wochen wurde ich exzellent zum Thema Pfannen beraten) und sicherlich gehe ich nach wie vor gelegentlich in eine Karstadt-Filiale. Aber das Problem ist: Es würde mir nichts fehlen, wenn es Karstadt nicht mehr gäbe. Dass ich dies einmal in solcher Deutlichkeit sagen würde, betrübt mich selbst.

 

Dieser Blogpost wurde zunächst bei der deutschsprachigen Huffington Post veröffentlicht.