Food ist das neue Fashion – was Ernährungs-Trends mit unserer Zukunft zu tun haben

Essen ist Trend. Wobei diese Zuschreibung das Ausmaß dieses Trends nicht einmal annähernd zu beschreiben in der Lage ist. In der Maslowschen Bedürfnispyramide arbeitet sich das Thema Essen und Trinken langsam aber sicher nach oben. Von jeher ein Grundbedürfnis des Menschen, ohne das ein Überleben unmöglich wäre, erklimmt das Thema Food inzwischen Stufe um Stufe.

Den Bereich der sog. Restitutions-Bedürfnisse hat Food bereits verlassen und deckt heute sämtliche Bedürfnis-Aspekte des modernen Menschen ab: Gruppenzugehörigkeit, Anerkennung und Selbstverwirklichung sind längst auch für Ernährungs-Themen ausdifferenziert: Veganer tun sich gerne mit Gleichgesinnten zusammen, Kochwettbewerbe dominieren den medialen und nicht-medialen Raum und ernährungsbasierte Lebenskonzepte haben Hochkonjunktur.

Wo es Bedürfnisse gibt, da lauert Geschäft

Wo Bedürfnisse ihrer Befriedigung harren, da ergibt sich vor allem Raum für zwei Dinge: für den Kampf um Deutungshoheit einerseits und, unmittelbar darauf aufbauend, für Umsatz und Geschäft. Lebensmittelhersteller und der Lebensmittel-Einzelhandel haben dies vor vielen Jahrzehnten erkannt und ihr Business seither ständig ausgeweitet und mehr oder weniger optimiert. Die große Masse zu bedienen ist jedoch nur ein Aspekt eines immer größer werdenden Food-Markts.

Food & Tech Industry 2014

Denn seit einigen Jahren, und bedingt durch die Möglichkeiten der Digitalisierung, drängen immer mehr und immer unterschiedlichere Player in viele Nischen dieses Markts – und aktuell auch wieder aus diesen Nischen heraus in Richtung Massenmarkt. Ein Blick auf die „Food & Tech Media Industry 2014“ lässt einen erahnen, wie stark dieses Marktsegment tatsächlich wächst und wie diversifiziert die Business Modelle dort bereits sind.

Angebot galore

Auch im Medien-Bereich ist Food längst das neue Fashion. Unzählige Zeitschriften-Neugründungen, Rezepte-Websites, Koch-Apps, TV-Kochshows, Gourmet-Podcasts und Genuss-Blogs wurden und werden ins Leben gerufen. Eine neue Ebene der Spezialisierung ist dabei getrieben von Ernährungs-Trends einerseits und Nahrungsmittel-Unverträglichkeiten andererseits. Vegan, Glutenfrei oder Paleo haben ihre Verbraucher-Nischen längst verlassen und ihr z.T. etwas altbackenes Image abgelegt: freie Bahn für das Lifestyle-Attribut. Und schon wird wieder ein Geschäft daraus.

Grundsätzlich ist es sehr zu begrüßen, dass der Speiseplan um neue Produkte jenseits des industriellen Mainstreams erweitert wird. Und vermutlich ist es lediglich ein Zeichen unserer Zeit, dass das Marketing-Pendel dabei häufig ins Extreme ausschlägt: Die Fabrik wurde zur Manufaktur, Bio zur Commodity, Rauke zu Rucola und Slow Food zur Ersatzreligion.

Zeit zu Handeln

Dabei wäre es dringender angeraten denn je, dass wir den Menschen wieder ein einigermaßen natürliches Verhältnis zu Kochen und Nahrungsmitteln vermitteln. Die modernen Zivilisationskrankheiten, allen voran Diabetes, sind zum großen Teil möglicherweise auch auf Mangelernährung zurückzuführen. Und diese hat manchmal finanzielle Gründe, viel häufiger ist sie jedoch Resultat immenser Informations-Defizite. Und genau darin liegt die Herausforderung: Wir brauchen eine neue Didaktik und einen Schulterschluss der Know-how-Träger im Bereich der Ernährung.

Die Herausforderung ist global

Die Bevölkerungsexplosion mit der Perspektive, dass irgendwann bis zu zehn Milliarden Menschen auf der Erde leben könnten, zwingt uns dazu die Frage zu beantworten, ob und wie wir die produzierbaren Nahrungsmittel-Ressourcen auf diese riesige Zahl abstimmen können. Aus der Wissenschaft stammen einige Ansätze, wie z.B. die Fleisch-Produktion der Zukunft aussehen könnte, Stichwort: „in-vitro/cultured meat“. Wie man Verbrauchern solches synthetisches „Fleisch“ schmackhaft machen kann, dürfte eine der spannenderen Education- und Marketing-Disziplinen werden.

Ballungszentren mit frischen Nahrungsmitteln zu versorgen ist eine ebenso große Herausforderung, da die konventionelle Landwirtschaft dies selbst bei genetischer Optimierung der Produkte nicht mehr in Gänze wird leisten können. Längst spricht man von vertikalen Farmen, die der Tatsache Rechnung tragen, dass für die Ernährung der zusätzlichen drei Milliarden Menschen bis zum Jahr 2100 viel mehr ackerbares Land nötig sein wird, als derzeit zur Verfügung steht. Eine riesige logistische Herausforderung.

Aufmerksamkeits-Ökonomie

Der bereits geforderte Schulterschluss derjenigen, die uns und den nachfolgenden Generationen das nötige Wissen zur Veränderung unserer Ernährungs- und Lebensgewohnheiten näher bringen sollen, ist angesichts des bereits erwähnten Geschäfts vermutlich nicht so einfach herzustellen. Zumal der Kampf um die Deutungshoheit vehement tobt.

Keine vormittägliche Fernsehsendung ohne eigenen Ernährungs-Experten, kein Access-Primetime-Format im TV ohne einen mehr oder weniger prominenten Koch. Um die Sache geht es nur vordergründig, statt dessen sorgen Heerscharen von Agenten, Managern und PR-Beratern dafür, dass das Konterfei des eigenen Mandanten möglichst viele möglichst aufmerksamkeitsstarke Medien-Formate ziert. Die Botschaft gerät dabei zur Nebensache.

Her mit der Instanz!

Noch liegt es also am Einzelnen sich die Kompetenz zuzulegen, die es braucht um die richtigen Ernährungs- und Konsumentscheidungen zu treffen. Die Vielzahl der Informations- und Einkaufsquellen macht das nicht unbedingt leichter. Eine wichtige Aufgabe von Medien und Multiplikatoren wird es daher sein die schiere Masse an Informationen und Ernährungs-Ratschlägen zu bündeln, zu kuratieren und mit der Empfehlung einer anerkannten Instanz als Orientierung zur Verfügung zu stellen.

Eine solche Aufgabe erfüllen manche Organisationen heute schon zum Teil, aber keine global und umfassend genug. Darin liegt eine riesige Chance: im Kampf um Glaubwürdigkeit ohne Interessenkonflikte und Kalkül Komplexitäts-Reduktion zu betreiben und dabei allgemein gültige, dem Menschen und der Gesundheit dienende Empfehlungen und Handlungsableitungen zur Verfügung zu stellen. Wer will, wer kann, wer macht es? Man darf gespannt sein.

Lebensmittel: Handel gegen Hersteller – wo bleiben da die Verbraucher?

„Seit dreißig Jahren bin ich im Buchgeschäft tätig, und es ist immer dieselbe Geschichte: Die Verleger müssen nach der Pfeife der Händler tanzen. Früher bestimmten die Buchhandelsketten wie Barnes & Noble, heute bestimmt Amazon.“

Was der Literaturagent Andrew Wylie, in seiner Branche „der Schakal“ genannt, im Interview mit der FAZ beklagt, ist auch in anderen Branchen abseits des Buchmarkts ein bekanntes Szenario. Die Dominanz des Handels gegenüber Herstellern wird beispielsweise in der Lebensmittelbranche besonders deutlich. Der Lebensmitteleinzelhandel (LEH) setzt seine Machtposition als „Gatekeeper“ zum Verbraucher insbesondere gegenüber den Herstellern sog. „schnell drehender Konsumgüter“ (FMCG) seit Jahrzehnten gewinnbringend ein – ein Umstand, den Vertreter des LEH vermutlich mit einem entsprechenden Euphemismus umschreiben würden.

Aufgrund dieser Situation herrscht bei einigen Herstellern geradezu panische Angst vor einer weiteren Verschlechterung der Geschäftsbeziehungen zu Handelsunternehmen, was vor allem dann deutlich zu Tage tritt, wenn es um Themen wie z.B. Direktvertrieb geht. Reflexartig ruft die Vertriebsabteilung zur Ordnung, wann immer ein solcher Vorschlag im Unternehmen die Runde macht. Und diese Ordnung heißt: Hände weg von solchen Plänen, andernfalls müssen wir das im nächsten Jahresgespräch ausbaden.

Dabei agiert der Handel gegenüber Herstellern in keiner Weise auch nur annähernd so sensibel, Im Gegenteil: Der Drohung mit Auslistung bei mangelnder Kooperationsbereitschaft (also i.d.R. Zahlungsbereitschaft) folgt nicht selten die Platzierung von Eigenmarken des Handels im unmittelbaren Produktumfeld der Hersteller. Nun sind die Daumenschrauben angezogen und die Zwickmühle für die Produzenten perfekt: Auf der einen Seite Druck angesichts schwindender Regalmeter am Point-of-Sale (PoS) immer schlechtere Margen und/oder Platzierungen akzeptieren zu müssen, andererseits die preisliche Konkurrenz durch Handelsmarken. Augenhöhe ist in dieser Geschäftsbeziehung längst ein Fremdwort.

Doch auch die Vorgehensweise der Handelsunternehmen gegenüber den Herstellern hat eine Historie und entsprechende Ursachen. So ist es insbesondere für den LEH sehr schwer (v.a. in Deutschland) entsprechende Margen in ihrem Kerngeschäft zu erzielen. Ein größerer Supermarkt-Konzern wird kaum mehr als zwei bis drei Prozent an Wert schöpfen, z.T. sogar weniger. Anders ausgedrückt: Von 100 Euro, die wir Kunden im Supermarkt ausgeben, bleiben gerade einmal zwei bis drei Euro an Gewinn beim Händler hängen.

Das wissen natürlich auch die Einzelhändler. Und es wäre naiv anzunehmen, dass sie sich mit der Situation abfinden würden. Statt dessen versuchen sie mehrere Entwicklungen zu ihrem Vorteil zu nutzen. So hat die Konsolidierung im Handel in den letzten Jahren dazu geführt, dass die Machtposition gegenüber den Markenherstellern weiter ausgebaut werden konnte. Darüber hinaus steigt der Anteil an Eigenmarken in den umsatzstarken Kategorien. Die Nachfragemacht des Handels sorgt bei Konditionsverhandlungen dafür, dass die Gewinnmargen der Hersteller weiter sinken und Marktrisiken verstärkt von den Herstellern getragen werden müssen. Das Ziel ist klar. Mittelfristig wird der Handel höhere Endverbraucherpreise durchsetzen um seine heute geringen Margen signifikant zu erhöhen.

Es drängt sich daher die Frage auf, wo in diesem Konstrukt eigentlich der Verbraucher steht. Wie groß ist Verbrauchermacht wirklich, wenn das Geschäft mit Lebensmitteln von ein paar wenigen Multis kontrolliert wird – nicht nur auf Händler-, sondern natürlich auch auf FMCG-Seite?

Natürlich fordern Verbraucher zunehmend Transparenz in Sachen Herkunft von Lebensmitteln, aber wie einfach ist das durchzusetzen? „Bio“ ist für Lebensmittelproduzenten längst kein Differenzierungsmerkmal mehr, sondern opportunistisches Marketingargument. Selbst „Fairtrade“ bietet keine Sicherheit für nachhaltigen Konsum. Zumal sich dabei immer die Frage stellt, wer (auf Hersteller-, Händler- und Informationsseite) welche Interessen verfolgt und wie es demnach mit der Glaubwürdigkeit bestellt ist.

Es bleibt uns Verbrauchern nichts anderes übrig als zukünftig noch genauer hinzusehen. Dazu gehört ein gewisses Know-how in Sachen Lebensmittel ebenso wie Grundwissen über Handel, Produktion und Nachhaltigkeit. Nur ein aufgeklärter Verbraucher kann kluge Konsumentscheidungen treffen. Und das müssen wir, wenn uns daran gelegen ist uns angesichts geballten Industriemarketings gut und verantwortungsvoll zu ernähren. Regionalität und Saisonalität können dabei entscheidende Schlüssel sein, vorausgesetzt, wir wissen uns ihrer zu bedienen.