Diversity & Inclusion: Schluss mit dem So-tun-als-ob!

(Dieser Artikel ist der zweite Teil einer Mini-Serie, Teil eins dieses Artikels hieß: Nachhaltigkeit ist kein Business Case.)

(Foto von José Martín Ramírez Carrasco bei Unsplash)

So sehr sich die Diversity-Aktivitäten der meisten Unternehmen inzwischen gleichen, so ähnlich entwickeln sich auch die Schwierigkeiten bei der Arbeit an inklusiven Organisationskulturen. An solchen Kulturen also, die faire Zugänge und die Teilhabe und Zugehörigkeit möglichst aller sozialen Gruppen sicherstellen sollen. Die Herausforderungen sind komplex, sobald man sich auf intersektionale Perspektiven einlässt, anstatt Maßnahmen für lediglich einzelne Vielfalts-Dimensionen (wie z. B. Gender) einzuführen. Zusätzlich steigt der Druck aufgrund sich verändernder und z. T. gegenseitig bedingender Rahmenbedingungen.

Und dann wird es eben irgendwann schwierig, auch, weil ich ja gar nicht mehr so recht auseinanderhalten kann, welche Maßnahmen denn nun eigentlich zu genau welchen Ergebnissen führen. Und natürlich bewegen wir uns in komplexen sozialen Systemen, was dazu führt, dass einzelne Interventionen und deren Auswirkungen gar nicht unter Laborbedingungen ausgewertet werden können.

Ursachen und Wirkungen

Die soziale Ebene der Nachhaltigkeit, also das „S“ in „ESG“, hat zudem die Herausforderung, dass es einfacher ist, etwa einen CO2-Fußabdruck zu berechnen, als die Wirksamkeit bestimmter Maßnahmen rund um Diversity, Equity, Inclusion & Belonging (DEIB). Um das Potenzial von Vielfalt in Wirkung bringen zu können und um tatsächlich Zugehörigkeit für möglichst alle System-Teilnehmer*innen sicherzustellen, müssen wir einerseits die Wirksamkeit solcher Maßnahmen nachvollziehen können, andererseits brauchen wir ein holistisches Bild von Organisationen, damit wir die komplexen Wechselwirkungen unserer System-Interventionen analysieren und beobachten können. 

Dabei ist es wichtig, dass wir eben diese Komplexität der Aufgabe anerkennen, damit am Ende eben nicht lediglich die prozentualen Anteile von Frauen in Führungspositionen als Outcome und somit alleiniges Messkriterium übrig bleiben. Es ist entscheidend, dass wir uns auch bei der Entwicklung von Metriken und Taxonomien der systemischen und intersektionalen Zusammenhänge bewusst sind, und dass wir uns die entsprechenden Verknüpfungen und Wechselwirkungen vor Augen führen. Auf diese Weise entwickeln wir ein Urteilsvermögen, mit dem wir die Bedeutung erhobener (qualitativer wie quantitativer) Daten besser einschätzen können, und das uns Indizien in Richtung sinnvoller Maßnahmen an die Hand geben kann.

Spätestens jetzt wird auch deutlich, dass etwa eine Frauenquote auf Geschäftsführungs-Ebene allein nicht die Lösung einer kulturellen Herausforderung sein kann, sondern allenfalls die Folge positiver Veränderungen in allen Dimensionen der Organisation. In jedem Fall ist es unerlässlich, dass wir die Zusammenhänge zwischen Ursachen und Symptomen re-evaluieren.

Simulation von Kultur

Doch die Realität stellt sich anders dar. Unternehmen verharren im Klein-Klein. Organisationen investieren Zeit, Geld und Energie in eine lediglich positiv anmutende Kultur-Simulation. Was die vermeintliche Authentizität einer Employer Brand widerspiegeln soll, ist die immer gleiche Beschwörung eines organisationskulturellen Fakes. Kultur als Stockphoto, wenn man so will. Und man will. Denn die Inszenierung inklusiver Unternehmenskulturen dient der Beibehaltung des Status Quo.

Es ist ein gefährliches So-tun-als-ob, bei dem sich die Zutaten auf eine Weise gleichen, dass tatsächliche Wirkung nicht nur nicht erzielt, sondern häufig regelrecht verhindert wird. Diese Vorgehensweise wird so gut wie nie hinterfragt. Dadurch wird sie zum Selbstzweck, der durch die immerwährende Perpetuierung legitimiert wird.

Auf diese Weise können sich weite Teile der Organisation weiterhin ganz legitim an den Nebenwidersprüchen, wie etwa der Unvereinbarkeit von Care- und Erwerbsarbeit, abarbeiten, während die Linearität des Geschäftsmodells und dessen Dogmen (wie etwa Dauerverfügbarkeit oder das Vollzeit-Paradigma) unangetastet bleiben. In einem Artikel der Harvard Business Review wird z. B auf die notwendige Dekonstruktion des „work/family narrative“ hingewiesen. Fehlende Vereinbarkeit sei nur eine Folge des Hauptwiderspruchs („core problem“), werde aber als Nebenwiderspruch („substitute problem“) von weiten Teilen der Organisation in seiner Unlösbarkeit weiterbearbeitet. Mit dem Ergebnis, dass alles so bleibt, wie es ist.

„By presenting work/family accommodations as the solution to the substitute problem, the firm added to an invisible and self-reinforcing social-defense system—one that cloaked inefficient work practices in the rhetoric of necessity while perpetuating gender disparities. This move gave firm leaders an unresolvable and therefore always available problem to worry about, which in turn allowed everybody to avoid confronting the core problem. As a result, two strongly held ideologies supporting the status quo remained in place: Long work hours are necessary, and women’s stalled advancement is inevitable.“

Quelle: Harvard Business Review

Maßnahmenfixierung

So lange isolierte Maßnahmen für vermeintliche Probleme (z. B. „Nicht genug Frauen in Führungspositionen“) entwickelt und eingeführt werden, ohne die eigentlichen – vielschichtigen – Ursachen (z. B. Hyperinklusion) zu durchdringen, so lange kann es keinen wirklichen Impact geben. Im Sinne der Wirkungsforschung liegt der Schwerpunkt der derzeitigen Aktivitäten noch sehr stark auf Output. Doch die Probleme werden drängender.

Ich nehme aus den Organisationen, mit denen ich zusammenarbeite, verstärkt den Wunsch wahr, dass man endlich „ins Tun kommen“ wolle. Und so sehr ich diesen Wunsch nachvollziehen kann, so kontraproduktiv kann es mitunter sein, wenn man sich zu schnell auf Maßnahmenbündel kapriziert. Denn vor allem diejenigen Gruppen, für die diese Maßnahmen im Sinne größerer Teilhabe intendiert sind, entlarven undurchdachte Konzepte und organisationalen Aktionismus sehr schnell. Dann entsteht möglicherweise noch erheblich größerer Schaden, weil die Culture Gap, also die Diskrepanz zwischen vorgegebener und tatsächlich gelebter Kultur, immer größer zu werden droht.

Zumal nach wie vor nicht ausreichend verstanden wird, dass „Inclusion“ nur durch die intensive Analyse von und die Beschäftigung mit den Mechanismen von „Exclusion“ zu erreichen sein wird. Wer nicht bereit dazu ist, sich innerhalb der eigenen Organisation mit Strukturen und Mechanismen von Marginalisierung und Diskriminierung zu beschäftigen, wird es nicht schaffen, deren Ursachen zu beseitigen. Insofern ist es auch müßig, lediglich Frauen in Führungspositionen zu befördern, wenn nicht gleichzeitig die Bedingungen dafür geschaffen werden, dass die Beförderte ihren Job auch optimal erledigen kann. Letzteres ist harte Arbeit; und bedarf einer Konsequenz, die viele noch scheuen. Repräsentation ist eben nicht gleichbedeutend mit Partizipation.

Nachhaltigkeit ist kein Business Case

(Foto von StellrWeb bei Unsplash)

„To free ourselves, we must question each and every system we are in – even those we cannot divorce ourselves from yet.“

Ijeoma Oluo

Viele Unternehmen sind nach wie vor der Ansicht, dass sie ihre Zukunftsfähigkeit durch ein rein reaktives Vorgehen entlang einer eher unterambitionierten Nachhaltigkeits-Agenda sichern können. Ein paar Buzzwords hier, ein bisschen Benchmarking dort – viel mehr passiert in der Regel nicht. Dabei wäre es höchste Zeit für fundamentale Richtungswechsel entlang klar definierter Herausforderungen und Zielambitionen. Denn ohne die proaktive, ja: progressive Arbeit an neuen Paradigmen ökonomischen Handelns und ohne die sukzessive Veränderung der derzeitigen systemischen Rahmenbedingungen droht vielen Organisationen ein Negativ-Szenario. Ein Problem dabei: der so genannte Business Case.

Problem: Business Case

Wie aus der folgenden (vereinfachten) schematischen Betrachtung ersichtlich wird, kann die Schnittmenge eines nachhaltigen ökonomischen Handelns nicht allein dadurch vergrößert werden, dass lediglich immer mehr Anforderungen seitens der Nachhaltigkeit Eingang in den Akzeptanzraum ökonomischen Denkens und Handelns finden – etwa durch Regulierung oder veränderte Kund*innen-Erwartungen. Vielmehr muss die Bewegung von Seiten der Ökonomie selbst ausgehen. Die Wirtschaft muss sich mit hoher Geschwindigkeit und konsequenter Ambition auf die Nachhaltigkeits-Agenda zubewegen – und zwar zunächst einmal ohne den reinen Fokus auf Umsatz und Ertrag im Status Quo.

(eigene Darstellung; Quellen: Freimann 1996, Beschorner 2004)

Im Eingangs-Zitat von Ijeoma Oluo deutet sich ein Ausweg aus der linearen, Output- und Shareholder*innen-orientierten Vorgehensweise an, die derzeit noch das so gefährliche“ Weiter so“ mündet. Wir müssen uns also von Systemen befreien, die uns heute noch fest im Griff haben, deren Weiterbestehen jedoch im wahrsten Sinne des Wortes fatal wäre.

Was sich aktuell noch nach einer Utopie anhört, wird angesichts der eskalierenden globalen Krisen schon bald zur neuen Handlungsmaxime werden. Und genau darauf müssen Unternehmen schon heute vorbereitet sein. Dazu gehört auch, dass die Ursachen und Symptome exklusiver Organisationskulturen genau erforscht werden, damit wirksame Gegenmaßnahmen passgenau für die unterschiedlichen Kontexte entwickelt werden können.

Es haben sich jedoch jene Glaubenssätze verfestigt, nach denen nachhaltiges unternehmerisches Handeln nur dann angezeigt sei, wenn es sich rechnet, sprich: wenn irgend jemand – zum Beispiel die Kund*innen – dafür bezahlt. Oder aber, wenn Kosten eingespart werden, etwa bei nachhaltiger Produktion von Gütern. In einem solchen Fall ist dann ein so genannter “Business Case“ ausnahmsweise einmal Konsens.

Die Größe der Schnittmenge zwischen Ökonomie und Nachhaltigkeit (vgl. Schaubild) wird also vor allem dadurch bestimmt, wie viel Nutzen ein Unternehmen aus nachhaltigem Handeln ziehen kann. Wirklich verantwortungsvoll ist das nur im althergebrachten Modus linearen Wachstums. Progressiv ist es nicht. Und mit Blick auf zur Neige gehende Ressourcen, weiterhin steigenden CO2-Ausstoß sowie negative Bilanzen sozialer Nachhaltigkeits-Aspekte (wie z. B. Inclusion) wird klar: Das reicht bei weitem nicht aus.

(Sehr sehenswert ist in diesem Zusammenhang die Keynote von Dr. Thomas Beschorner im Rahmen der Jahrestagung des UPJ-Netzwerks, in der er auf das Schnittmengen-Modell und die Zusammenhänge eingeht.)

Eskalation als Chance?

Wir erleben eine, für die meisten lebenden Generationen einzigartige, Häufung von Krisen. Krieg, Pandemie und Klimakrise sind Eskalationen, die sich ex post betrachtet zwar angekündigt hatten, in ihren Auswirkungen jedoch für sehr viele Menschen unerwartet heftig spürbar sind. Natürlich muss man hier differenzieren, denn einmal mehr sind diese Auswirkungen global sehr ungleich verteilt. Die Tatsache, dass die Vehemenz der Auswirkungen und die globale Ungleichheit nun erstmals so deutlich werden, erzeugt einen zunehmenden Druck auf die Nachhaltigkeits-Agendas. Bzw. eben große Unsicherheiten bei denjenigen, die sich bisher wenig bis gar nicht bzw. ausschließlich reaktiv – etwa im Zuge einer Berichtspflicht – mit den Herausforderungen befasst hatten.

Unternehmen realisieren zunehmend, dass ihr Verantwortungsbereich erheblich größer werden muss als dies bisher der Fall war. Statt sich jedoch unmittelbar mit den Ursachen und den eigenen Einflussbereichen und Verantwortlichkeiten im Zusammenhang mit diesen Ursachen zu beschäftigen, verfallen viele Unternehmen und Industrien in einen ebenso kurzsichtigen wie gefährlichen Modus des Aktionismus. Bei den Nachhaltigkeits-Bestrebungen eines Großteils der Unternehmen haben sich Nebenschauplätze herausgebildet, auf denen sehr schnell auf Maßnahmenebene agiert wird. Es werden Rituale etabliert, die den Eindruck erwecken sollen, man nehme sich der Herausforderungen an und arbeite an konkreten Lösungen. Diversity & Inclusion ist ein Beispiel für einen solchen Nebenschauplatz.

Ursachen und Wirkungen

Bei der Analyse von Zugängen zu unseren organisationalen Systemen hat sich zum Beispiel herausgestellt, dass es nicht nur asymmetrische Geschlechter-Verhältnisse in den Führungsebenen der meisten Unternehmen gibt, sondern dass auch andere soziale Gruppen in Führungspositionen unterrepräsentiert sind. Statt sich jedoch akribisch auf die Suche nach den Ursachen dafür zu machen und in der Folge auf deren Beseitigung hinzuarbeiten, würden viele Unternehmen diesen Schritt gerne überspringen und unmittelbar Maßnahmen auf den Weg bringen, die die vermeintlich rein quantitative Herausforderung lösen. Quoten sind ein Beispiel für eine solche (isolierte) Intervention. Eine solche Vorgehensweise als „Greenwashing“ oder „Pinkwashing“ zu bezeichnen, greift inzwischen zu kurz, wenngleich die Mechanismen damit durchaus benannt werden. In dem genannten Beispiel wird die Annahme zugrunde gelegt, dass es einen Business Case für mehr Vielfalt gebe, wonach etwa eine höhere Anzahl von Frauen in Führungspositionen einen positiven Effekt auf die finanzielle Performance des Unternehmens habe. Für einen solchen Kausalzusammenhang gibt es wenig bis keine empirische Evidenz – wohl aber eine Korrelation. Und daraus ist die Vermutung abzuleiten, dass mehr Frauen in Führungspositionen (wie auch mehr Menschen mit Behinderung, mehr PoC uvm.) eher das Resultat tiefgreifender transformationaler Prozesse sind als unmittelbares Ergebnis von Maßnahmen entlang bestimmter Quoten.

Und dennoch werden weiterhin Handlungsmaximen legitimiert, nach denen Interventions-Notwendigkeiten nahezu ausschließlich an deren Auswirkung auf die ökonomische Wachstumslogik in Bezug auf Umsatz und Ertrag beurteilt werden. Doch ein solcher Business Case ist nicht ungefährlich.

New research reveals that linking diversity to corporate profits may be a turnoff for the underrepresented individuals the organizations are trying to attract. In fact, the use of the business case to justify diversity can result in underrepresented groups anticipating less belonging to organizations, which, in turn, makes them ultimately less likely to want to join the organization.

(Quelle: Forbes.com)

Wir benötigen also eine andere Motivationslogik bei der Arbeit an Inclusion und Belonging. Doch selbst Nachhaltigkeit als größerer Kontext dürfte dafür eine unzureichende Perspektive sein.

(Dazu bald mehr in Teil zwei dieses Artikels: „Diversity & Inclusion: Schluss mit dem So-tun-als-ob!“.)