
„I identify as… tired.“ (Hannah Gadsby)
tl;dr:
- Für mehr Gleichberechtigung brauchen Frauen* mehr Freiräume.
- Die Gender Care Gap (von durchschnittlich 52,4 %) ist ein wesentlicher Teil des Problems asymmetrischer Geschlechterverhältnisse: Frauen sind nach wie vor erste Anlaufstelle für das Thema Kind & Haushalt.
- Männer* könnten Care-Arbeit zunächst einmal dadurch aufwerten, indem sie einen großen Teil davon selbst erledigen.
- Care- und Erwerbsarbeit müssen gleichberechtigt nebeneinander stehen.
- Mehr Männer in Care = mehr Chancengleichheit
In einem Blogbeitrag bei Mädchenmannschaft wurden vor etwa zweieinhalb Jahren „linke Mackertypen“ kritisiert, die sich unter dem Deckmantel der Feminismus-Unterstützung nach vorne drängen würden. Neben einer Typisierung männlicher Feministen lieferte die Autorin Nadia Shehadeh damals auch ein paar gute Ratschläge für Männer* mit:
„Sie können sich sinnvoll beteiligen, indem Sie feministische Arbeit durch Geldspenden, Care-Arbeit, Putzdienste und vor allem in den meisten Fällen durch eigene Unsichtbarmachung unterstützen.“
Was zunächst wie ein Affront gegen potenzielle und reale männliche Unterstützer des Feminismus klingen mag, trägt viel Wahrheit in sich: Männer können den Feminismus auch und vor allem dadurch flächendeckend unterstützen, indem sie Frauen* Freiräume schaffen. Den Abwasch zu machen kann ein guter Anfang sein. Man könnte hier also durchaus von einer Art „Spülfeminismus“ sprechen.
Mika Doe aka Mareike nennt in einem Artikel aus dem Vorjahr die Kehrseite der Medaille, wenn sie den „Spülsexismus“ beschreibt:
Eine geschlechtergemischte Gruppe von Personen unternimmt irgendeine Aktivität. Sie fahren in eine Ferienwohnung, machen eine Party, besetzen ein leerstehendes Haus oder planen den Umsturz des Systems. Wie auf magische Weise hat Stefanie einen Dip gemacht. Caroline wischt den Tisch ab. Jens dagegen sucht die richtigen Schrauben für die Barrikaden. Torben sitzt in der Ecke und liest Judith Butler.
Asymmetrische Verteilung von Pflichten
Womit wir in jedem Fall bei der Frage nach den größeren Hebeln für die Bereitstellung besagter Freiräume wären. Diese Hebel liegen, da sind sich inzwischen nicht wenige Menschen einig, unter der Ungleichverteilung der Reproduktions- bzw. Care-Arbeit zwischen den Geschlechtern vergraben.
Auch und vor allem durch diese Ungleichverteilung entstehen weitere Lücken, wie etwa die Gender Pay Gap oder die Gender Pension Gap aka (i. d. R. weibliche) Altersarmut. Die grundsätzliche Asymmetrie zwischen Care- und Erwerbsarbeit bildet dabei lediglich die (ungerechte) Grundlage für ungleiche Teilhabe.
Die Gender Care Gap liegt laut zweitem Gleichstellungsbericht der Bundesregierung bei durchschnittlich 52,4 Prozent. Das bedeutet, dass Frauen in Deutschland im Durchschnitt 87 Minuten mehr Care-Arbeit leisten als Männer. Pro Tag, jeden Tag.
Sobald in einem Haushalt Kinder leben, steigt die Gender Care Gap auf durchschnittlich 83,3 Prozent. Im Alter von 34 leistet eine Frau zudem durchschnittlich fünf Stunden und 18 Minuten Care-Arbeit täglich, Männer hingegen nur zwei Stunden und 31 Minuten. Das ist eine Lücke von über 100 Prozent zwischen den Geschlechtern.
Anders formuliert: Die Frau ist nach wie vor eine Art Default-Option für das Thema Kinder und Haushalt.
Und genau hier liegt deshalb auch der Schlüssel zur Veränderung. Wenn wir es schaffen wollen asymmetrische Geschlechterverhältnisse zu beseitigen, dann kann das nur über eine deutlich höhere Beteiligung von Männern in den Bereichen Kinder, Haushalt, Familie etc. – kurz: Care – gehen.
Oder, anders formuliert: Männer* könnten Care-Arbeit zunächst einmal dadurch aufwerten, indem sie einen großen Teil davon selbst erledigen. So einfach wäre das.
Mental Load
Dabei geht es nicht nur um so sichtbare Tätigkeiten wie Müll raustragen, Schränke aufbauen oder das Auto in die Werkstatt bringen. Diese Dinge sind zu tun, keine Frage. Aber übrig bleiben hunderte anderer Sachen. Einzeln handelt es sich meist um Kleinigkeiten, in Summe jedoch ergeben sie einen mitunter kaum zu bewältigenden Wust an Aufgaben, an dem zumeist Frauen und Mütter nicht selten verzweifeln. Für die damit einhergehende Belastung hat sich der Begriff der Mental Load herausgebildet. Barbara Vorsamer schrieb dazu im SZ-Newsletter:
„In den meisten Familien, selbst bei denen, die sich die Arbeit selbst einigermaßen gerecht aufteilen, bleibt die Verantwortung an der Mutter hängen. Sie schreibt die Einkaufszettel und To-do-Listen und sie erinnert ihren Mann auch – unter Umständen mehrfach – an die noch zu erledigenden Aufgaben. Mental Load nennt man diese Denkarbeit, und sie ist anstrengend, ermüdend und unsichtbar.“
Patricia Cammarata hatte über das Thema Mental Load auf dem Female Future Force Day gesprochen und diesen Vortrag auch in ihrem Blog verarbeitet. Zu den Auswirkungen der Mental Load schreibt sie:
„Meine Lektion war: Energie ist endlich (hätte ich auch schon aus dem Physikunterricht wissen können). Energie ist eine Torte. Ich kann acht oder sechzehn Stücke rausschneiden, größer macht das die Torte nicht und am Ende ist die Torte weg. Für einen Job und ein Kind hat meine Energie leicht gereicht, für zwei auch noch, beim dritten war dann Schluss.“
Für was geht also die ganze Restenergie drauf?
Termine für U-Untersuchungen, neue Schuhe für die Tochter, Kuchen für den Kindergeburtstag, die Anmeldung zum Kletterkurs, die grundsätzliche Frage nach dem Wohnort zum Schuleintritt, der nächste Großelternbesuch, der eigene Job, der Hautausschlag des Sohnes, die kaputte Glühbirne im Flur, der Ablesedienst, das Päckchen für die Freundin in Bochum und und und… Bei genauerem Nachdenken fallen einem selbst spontan unzählige Dinge ein, die in Summe einen schier nicht zu bewältigenden Berg an ToDo’s verursachen.
Die Soziologin und Genderforscherin Franziska Schutzbach bringt es in einem Interview mit der Schweizer Tageswoche auf den Punkt:
„Frauen sind in der Regel diejenigen, die mit dem Gedanken einschlafen: «Morgen muss ich für die Kinder Hausschuhe kaufen.» Die daran denken, wann der nächste Test geschrieben wird oder der Arztbesuch ansteht, für welchen Kindergeburtstag es noch ein Geschenk braucht und so weiter. Diese Hauptzuständigkeit ist ein mentaler Stress, der zu Erschöpfungssyndromen führt. Väter sind oft ganz gute Assistenten, aber viele sind nicht bereit, wirklich ins Cockpit zu kommen.“
Männlicher Grassroots-Feminismus?
Und genau hier liegt also die Lösung. Eine männlich-feministische Grassroots-Bewegung müsste genau hier ihren Anfang nehmen: in der Verantwortlichkeit für mindestens 50 Prozent dieser Dinge. Ohne Aufforderung oder Vor-Organisation durch jemand anderen (i. d. R. die Partnerin), sondern in völliger pro-aktiver Eigenverantwortung.
Das wäre ein männlicher Beitrag zum Feminismus, der signifikante Folgen hätte. Denn durch die Entlastung zu Hause könnte sich Frauen verstärkt engagieren: im Feminismus, im Job, beim Lernen, in der persönlichen Weiterentwicklung, in Sachen Achtsamkeit und transformationaler Arbeit etc. All das würde wiederum auch Männern zugute kommen.
Unsere Wirtschaft und Gesellschaft würde unmittelbar davon profitieren, wenn Frauen ihre Zeit und Energie nicht zu einem Großteil im Care-Bereich einsetzen müssten bzw. wenn Männer einen signifikanten Teil dieser Aufgaben leisten würden. Aber wie kommen Männer da vielleicht hin?
Mir selbst (und ich bin vom Ideal einer 50/50-Aufteilung sicherlich weit entfernt) hat dabei sehr geholfen, dass ich für mich versuche Care- und Erwerbsarbeit, aber auch meinen Aktivismus, als gleichwertig zu verstehen und zu interpretieren. Das muss man immer wieder üben, aber die Einsicht eines Nebeneinanders dieser Tätigkeiten setzt sich dadurch auch bei mir immer mehr durch.
Ein Selbstläufer ist das aber nicht. Zu tief sitzen die Prägungen, nach denen nur das anerkannt wird, was auch Geld bringt. Dadurch entsteht nicht selten das Gefühl nichts Sinnvolles zu tu, wenn man einmal wieder Spülmaschinenreiniger im Drogeriemarkt kauft, statt vermeintlich „produktiv“ zu arbeiten.
Es macht für mich bei der eigenen Bewertung meiner Tätigkeit hoffentlich irgendwann kaum mehr einen Unterschied, ob ich einen Vortrag halte, eine Kundin berate, mich als Mentor betätige, die Toilette putze, die Windeln meines Sohnes wechsle, den Familieneinkauf erledige oder einen Blogbeitrag schreibe.
Natürlich wäge ich zwischen den genannten Tätigkeiten ab, wenn diese etwa zeitgleich anstehen. Aber ich spiele sie nicht mehr gegeneinander aus. Für mich ist das ein Fortschritt.
So, und jetzt sollte ich die Wäsche zusammenlegen, die Küche putzen und meine Tasche für morgen packen.
(Foto von Scott Umstattd bei Unsplash)