Warum nur wirklich nachhaltige Innovationen zukunftsfähig sind

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Foto-Credit: Elisabeth Lies bei unsplash.com

Vor ein paar Wochen beschäftigte mich ein Beratungsprojekt, in dem es um das Thema nachhaltiges Wirtschaften ging. Eine der Schlüsselfragen lautete: Wie bekomme ich Menschen dazu sich im Unternehmenskontext nachhaltig zu verhalten? Konkret ging es um Entscheider_innen in Unternehmen und die Herausforderung, die drei Elemente der „triple bottom line“ – Ökonomie, Ökologie, Soziales – gleichberechtigt nebeneinander zu berücksichtigen. Denn in der Regel zählen vor allem wirtschaftliche Parameter als Grundlage unternehmerischer Entscheidungen.

Eine unserer Thesen im Projekt war und ist: Innovation ohne Nachhaltigkeit wird in absehbarer Zeit nicht mehr möglich sein. Unser Planet gibt es einfach nicht mehr her.

Diese These geht mir seither nicht mehr aus dem Kopf. Einerseits beschäftigt sie mich als Verbraucher, der ich dafür Sorge tragen muss keine Ressourcen mehr zu verschwenden. Aber sie hat ebenfalls große Auswirkungen auf Unternehmertum generell.

In der Schule hatte ich seinerzeit von den „endless resources“ gehört, die etwa den Gründungsmythos des American Dream ermöglicht hatten und letztendlich einer der Hauptgründe für den wirtschaftlichen Aufschwung der Vereinigten Staaten von Amerika waren. Diese Ressourcen waren natürlich zu keiner Zeit unbegrenzt. Doch vor dem Hintergrund der damals herrschenden Vorstellungskraft technologischer Weiterentwicklung und menschlicher Schaffenskraft mussten sie tatsächlich endlos erscheinen – und mit ihnen die damit verbundenen Möglichkeiten.

Ich habe das Gefühl, dass ein nicht geringer Teil der Menschen in Deutschland (und anderswo) nach wie vor glaubt, wir könnten einfach immer so weiter machen, wie es uns die Wachstumsökonomie aufgezeigt hat, mit der wir ja größtenteils sozialisiert wurden. Als seien die Ressourcen tatsächlich unendlich. Dieser gefährliche (weil letzten Endes tödliche) Irrglaube ist derart weit verbreitet, dass es einen schier fassungslos macht.

Denn wir sind bereits an der äußersten Grenze dessen angelangt, was unser Planet überhaupt aushält. Im Pazifischen Ozean treibt ein Müllteppich, dessen Fläche zehnmal größer ist als Deutschland, und der bis zu 30 Meter in die Tiefe reicht. Das übersteigt jede menschliche Vorstellungskraft. Und dennoch produzieren, konsumieren und entsorgen wir munter weiter. Oder vielleicht ja auch gerade deshalb: weil es so unvorstellbar und gleichzeitig so weit weg ist.

Man nennt das Phänomen, wonach Menschen im Kontext Klima und Nachhaltigkeit das Offensichtliche ausblenden, auch Giddens-Paradox, benannt nach dem britischen Soziologen Anthony Giddens.

„It states that, since the dangers posed by global warming aren’t tangible, immediate or visible in the course of day to day life, however awesome they appear, many will sit on their hands and do nothing of a concrete nature about them. Yet waiting until they become visible and acute before taking serious action will, by definition, be too late.“ (Giddens, Anthony and Philip W. Sutton (Hrsg.). Sociology: Introductory Readings. Cambridge. Polity Press: 2010. S. 98.)

Meine eigene Sozialisation in Sachen Business und Unternehmertum war dem entsprechend eindimensional. Vom ersten Tag an, an dem ich für ein Startup gearbeitet habe, sah ich mich mit Kennzahlen konfrontiert, die nur eine Richtung duldeten: nach rechts oben. Dorthin also, wo Umsatz und Ertrag stetiges (und am liebsten exponentielles) Wachstum versprachen. Unser unternehmerisches Denken ist zu einem einzigen Excel-Hockeystick mutiert.

Das ist die gefährlichste Form von Verblendung, der man anheimfallen kann. Denn sie ist mittelfristig tödlich. Es erscheint mir daher nachgerade absurd, wenn die Unternehmensberatung EY im Zusammenhang mit Künstlicher Intelligenz und Daten von #InclusiveCapitalism spricht, gleichzeitig aber AI („artificial intelligence“) zum größten zukünftigen Wachstumstreiber ausruft. Wollen wir wirklich eine weitere Zukunftstechnologie ausschließlich dem Wirtschaftswachstum entlang altbekannter Parameter unterordnen?

Shareholder Value ist schlicht keine geeignete Triebkraft mehr für den Erhalt der Menschheit. Denn er wird größtenteils noch entkoppelt von Nachhaltigkeit betrachtet. Aus den genannten Gründen geht das nicht mehr.

Glaubt denn wirklich noch jemand daran, dass es weiterhin möglich sein wird auf jede erdenkliche Art und Weise Business zu betreiben? Das wäre ein großer Irrglaube. Denn die Zeiten sind nicht mehr weit, in denen es derart umfassende Regulierungen wird geben müssen, die fast jede Form bekannten Wirtschaftens unmöglich machen wird.

Die staatlichen Behörden weltweit werden nicht umhin kommen irgendwann jede Form von Produktion zu reglementieren. Alles, was nicht klima- und ressourcenneutral hergestellt werden kann, muss irgendwann verboten werden. Weil es einfach als überflüssig eingestuft werden wird.

Kunststoffe etwa, die nicht zu 100 Prozent recycelt werden, sind irgendwann komplett verboten. Die Fantasie, dass 3D-Druck und ähnliche Technologien Wirtschaftswachstum befeuern können, ist naiv. Die Gefahr zunehmender Verhüllung und Verschwendung von Rohstoffen wäre schlicht zu groß.

Wenn wir nicht wollen, dass verschiedene Dystopien zu schrecklicher Realität werden, müssen wir unser gesamtes Streben dem Wohle des Planeten unterordnen. Und damit dem Wohle der Menschen, die auf der Erde leben und noch leben werden. Dazu gehört auch die Etablierung völlig neuer sozialer Normen. Alles, was der Umwelt schaden könnte, ist in naher Zukunft keine Option mehr. Alles.

Wie radikal ein solcher Shift sein wird, können sich vermutlich nur sehr wenige Menschen vorstellen. Doch wir sollten uns schnellstens an den Gedanken gewöhnen, dass Wachstum in seiner bisherigen Form ein gefährlicher Irrtum war. Je früher wir uns auf neue Gegebenheiten einstellen, desto besser für uns – und für den Planeten.

Vom Gatekeeper zur Plattform zur Blockchain? Was folgt auf Uber, airbnb und Co.?

Wenn man früher mit dem Reisebus unterwegs war und in einer bestimmten Gaststätte Mittagspause machte, dann wusste man, dass der Busfahrer nichts für sein Mittagessen zu bezahlen brauchte. Im Gegenteil: Er kassierte in der Regel eine kleine Provision dafür, dass er dem Wirt ein paar Gäste zuführte. Damit kam man klar.

Wenn man heute die Instanzen analysiert, die bestimmten Geschäftsmodellen Kunden zuführen, dann fällt einem das Klarkommen nicht mehr ganz so leicht. Denn die Sache droht einigermaßen aus dem Ruder zu laufen. Die als Intermediäre fungierenden Plattformen haben ganze Industrien verändert und sorgen auch fortlaufend für große Umwälzungen. Für bestimmte Branchen ist die Luft bereits recht dünn geworden, so etwa für die Publishing Branche.

Die beiden größten Gatekeeper im Bereich der digitalen Werbung sind mittlerweile Plattformen: Facebook und Google. Bevor auch nur ein einziger Euro in den Kassen der Verlage oder Content-Anbieter landet, haben die beiden US-Konzerne laut aktuellem Meeker-Report bereits 85 Cent davon vereinnahmt. Die Reaktion der deutschen Publisher: Sie formen eine Allianz und poolen ihre User-Daten bei der Telekom-Tochter Emetriq. Auf diese Weise will man den Big Four die Macht über die Verlags-Daten entreißen und die Attraktivität der eigenen Advertising-Modelle sichern.

Derartige Konstellationen, bei denen sich klassische Unternehmen in ihrem Geschäftsmodell unmittelbar bedroht sehen, gibt es mittlerweile zuhauf. Uber hat die Taxi-Industrie bis ins Mark erschüttert, airbnb fügt der Hotellerie massive Verluste zu, und dank Spotify & Co. befindet sich auch die Musikbranche inmitten eines riesigen Umbruchs.

Und um auf das Eingangsbeispiel zurückzukommen: Auch in der Gastronomie tut sich einiges. Aktuell bieten die beiden Startups Deliveroo und Foodora in Deutschland einen Lieferservice für Essen aus Restaurants. Und eine ganze Reihe an Gastronomen nimmt bereits Teil. Laut ZEIT Online nutzen 2.000 Restaurants in Deutschland die Dienste von Foodora – zum stolzen Preis von 30 Prozent Provision pro Bestellung. Wer weiß, wie in der Gastronomie kalkuliert wird, der kann seine Skepsis an der Nachhaltigkeit solcher Partnerschaften nicht verhehlen.

Moment. 30 Prozent Provision? Das kommt einem doch bekannt vor. Die App-Economy ist mit dieser Provisionshöhe bestens vertraut, da Apple in seinem App-Store seit jeher diesen Anteil von den App-Entwicklern und -Betreibern einbehält. Das ist übrigens einer der Gründe dafür, weshalb sich mit Apps bis auf wenige Ausnahmen kaum Geschäft machen lässt. Im Falle der Lieferdienste verhält es sich vermutlich in naher Zukunft ähnlich.

Was einen unweigerlich zu der Frage bringt, welches Geschäftsmodell das der Plattformen ablösen wird. Denn der Plattform-Kapitalismus einer Sharing Economy – in Anlehnung an Sascha Lobo –  neigt sich dann seinem Ende, wenn er bestimmte Marktteilnehmer signifikant benachteiligt. Es ist eigentlich wie in einer funktionierenden Familie: Alle Beteiligten müssen sich mit der jeweiligen Konstellation wohlfühlen: Eltern und Kinder. Im Falle der Beziehung von Marktteilnehmern ist es etwas komplizierter, da es verschiedene Stakeholder-Perspektiven zu beachten gilt.

Über die verschiedenen Stakeholder im Bereich Food habe ich schon einmal ausführlicher geschrieben. Hier führt die spannungsgeladene Symbiose von Nahrungsmittel-Herstellern und dem Lebensmittel-Einzelhandel zu zum Teil abenteuerlichen Abhängigkeitsbehältnissen – mit schwerwiegenden Folgen für Produzenten, wie etwa Landwirte oder Verbraucher. Hier sind die Gatekeeper zumindest in Deutschland zwar noch einigermaßen unangetastet, doch Mega-Fusionen, wie zwischen Kaisers/Tengelmann und Edeka, oder der bevorstehende Start von amazon fresh werden auch in diesem Bereich für reichlich disruptive Veränderung sorgen.

Bei einem Verlag bzw. Medienhaus spielen, blendet man einmal die Gesellschaft als Ganzes aus, mindestens folgende Interessengruppen eine Rolle: der Verlag und dessen Shareholder, die Mitarbeiter bzw. die freien Content-Produzenten und die Nutzer bzw. Leser. Durch die Plattformen oder Intermediäre ist dieses Gleichgewicht einigermaßen durcheinander geraten, das alte (Gatekeeper-)Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr.

Die Abhängigkeit von den Plattform-Anbietern hat in manchen Branchen ein Maß erreicht, das auch die neuen Konstellationen schon bald auf den Prüfstand stellen wird. Wenn für journalistische Angebote die Präsenz in den Timelines von Facebook und den SERPs von Google überlebenswichtig werden – und genau das ist der Fall -, dann haben sich die Machtverhältnisse endgültig (und wohl auch irreversibel) verändert.

Doch auch der wichtigste Stakeholder, nämlich der Nutzer selbst, ist von einer gewissen Entfremdung gegenüber den Anbietern betroffen. So schrieb der Start-up-Gründer Tariq Krim in einem Gastbeitrag für ZEIT Online: „Die Megaplattformen sind McDonald’s für unsere Köpfe.“ Er beklagt den Kontrollverlust angesichts algorithmisch gesteuerter Angebote und moniert die Unmöglichkeit der Entschleunigung.

Und auch die vermeintlich neuen Mächtigen können sich nicht in Sicherheit wiegen. Schon gibt es neue Bedrohungen, und diesmal sind die Platform-Betreiber die Gejagten. Um die ganz neuen Herausforderer zu verstehen, hilft ein Blick in den FinTech-Bereich.

Jahrhundertelang waren Banken geradezu prototypische Gatekeeper. Die Einstiegshürde für potenzielle Herausforderer lag einfach zu hoch. Weder waren Letztere in der Lage die technischen und rechtlichen Herausforderungen zu meistern, noch stellten ausreichende Verbreitung oder Aufbau von Vertrauen lösbare Aufgaben dar. All dies hat sich spätestens seit der Blockchain geändert. Wie dramatisch, das erklärt Don Tapscott im brand eins Interview am Beispiel von Western Union eindrucksvoll.

„Eine philippinische Haushaltshilfe, die in Toronto lebt und ihr Erspartes auf die Philippinen schickt, muss dafür viel Aufwand betreiben. Sie kriegt einen Scheck, löst ihn bei einer Bank ein, nimmt einen Bus zu einem Einkaufszentrum und geht dort zu einer Filiale von Western Union. Sie überweist ein paar hundert Dollar und zahlt dafür eine Gebühr von ungefähr zehn Prozent. Das alles dauert mehrere Stunden, in denen sie entweder arbeiten oder zumindest zu Hause sein könnte. Und dann dauert es auch noch vier bis sieben Tage, bis das Geld in Manila ankommt. Vor vier Monaten probierte die Frau eine Alternative aus: Sie überwies ihr Erspartes per Handy mit einer App namens Abra. Dabei handelt es sich um ein Blockchain-Programm, mit dem das Geld binnen Millisekunden auf dem Handy ihrer Mutter in Manila eingeht. Die sucht sich dann einen Auszahler in der Stadt, der in der Nähe ist und dem andere Kunden vertrauen. So kriegt sie das Bargeld innerhalb von ein paar Minuten, und alles kostet nur ein Prozent Gebühren. Für Western Union ist das keine gute Nachricht. Für die Start-ups, die auf die Technik setzen, schon.“

Und das ist erst der Anfang. Im Text zum zitierten Interview nennen die brand eins Autoren folgende potenzielle Anwendungsfelder für die Blockchain:

  • internationalerZahlungsverkehr
  • Aktienhandel
  • Onlinemarktplätze
  • Grundbuchregister
  • Echtheitszertifikate (zum Beispiel von Gold und Diamanten)
  • Lieferkettenkontrolle bei Lebensmitteln
  • Rechtemanagement von Musik und Kunst
  • Abrechnungsprotokolle im Internet der Dinge

Ist die Blockchain also das next big thing nach der Disruption durch Plattform-Anbieter? Die Technologie scheint jedenfalls einiges zurückzubringen, was bereits verloren schien. Die Datenhoheit läge wieder beim Individuum, und auch die Themen Sicherheit und Transparenz klingen zunächst einmal verlockend. Es wäre zumindest wünschenswert, wenn die Macht der Big Four (Facebook, Google, amazon, Apple) ein gewisses Gegengewicht bekäme. In gewisser Weise wäre das ja eine Art Neuanfang für digitale Geschäftsmodelle, die auf anderen Grundlagen basieren als die der genannten US-Konzerne. Ob Algorithmen am Ende des Tages demokratischer sind als Startups aus dem Silicon Valley, das muss die Zeit ans Licht bringen.

Lebensmittel: Handel gegen Hersteller – wo bleiben da die Verbraucher?

„Seit dreißig Jahren bin ich im Buchgeschäft tätig, und es ist immer dieselbe Geschichte: Die Verleger müssen nach der Pfeife der Händler tanzen. Früher bestimmten die Buchhandelsketten wie Barnes & Noble, heute bestimmt Amazon.“

Was der Literaturagent Andrew Wylie, in seiner Branche „der Schakal“ genannt, im Interview mit der FAZ beklagt, ist auch in anderen Branchen abseits des Buchmarkts ein bekanntes Szenario. Die Dominanz des Handels gegenüber Herstellern wird beispielsweise in der Lebensmittelbranche besonders deutlich. Der Lebensmitteleinzelhandel (LEH) setzt seine Machtposition als „Gatekeeper“ zum Verbraucher insbesondere gegenüber den Herstellern sog. „schnell drehender Konsumgüter“ (FMCG) seit Jahrzehnten gewinnbringend ein – ein Umstand, den Vertreter des LEH vermutlich mit einem entsprechenden Euphemismus umschreiben würden.

Aufgrund dieser Situation herrscht bei einigen Herstellern geradezu panische Angst vor einer weiteren Verschlechterung der Geschäftsbeziehungen zu Handelsunternehmen, was vor allem dann deutlich zu Tage tritt, wenn es um Themen wie z.B. Direktvertrieb geht. Reflexartig ruft die Vertriebsabteilung zur Ordnung, wann immer ein solcher Vorschlag im Unternehmen die Runde macht. Und diese Ordnung heißt: Hände weg von solchen Plänen, andernfalls müssen wir das im nächsten Jahresgespräch ausbaden.

Dabei agiert der Handel gegenüber Herstellern in keiner Weise auch nur annähernd so sensibel, Im Gegenteil: Der Drohung mit Auslistung bei mangelnder Kooperationsbereitschaft (also i.d.R. Zahlungsbereitschaft) folgt nicht selten die Platzierung von Eigenmarken des Handels im unmittelbaren Produktumfeld der Hersteller. Nun sind die Daumenschrauben angezogen und die Zwickmühle für die Produzenten perfekt: Auf der einen Seite Druck angesichts schwindender Regalmeter am Point-of-Sale (PoS) immer schlechtere Margen und/oder Platzierungen akzeptieren zu müssen, andererseits die preisliche Konkurrenz durch Handelsmarken. Augenhöhe ist in dieser Geschäftsbeziehung längst ein Fremdwort.

Doch auch die Vorgehensweise der Handelsunternehmen gegenüber den Herstellern hat eine Historie und entsprechende Ursachen. So ist es insbesondere für den LEH sehr schwer (v.a. in Deutschland) entsprechende Margen in ihrem Kerngeschäft zu erzielen. Ein größerer Supermarkt-Konzern wird kaum mehr als zwei bis drei Prozent an Wert schöpfen, z.T. sogar weniger. Anders ausgedrückt: Von 100 Euro, die wir Kunden im Supermarkt ausgeben, bleiben gerade einmal zwei bis drei Euro an Gewinn beim Händler hängen.

Das wissen natürlich auch die Einzelhändler. Und es wäre naiv anzunehmen, dass sie sich mit der Situation abfinden würden. Statt dessen versuchen sie mehrere Entwicklungen zu ihrem Vorteil zu nutzen. So hat die Konsolidierung im Handel in den letzten Jahren dazu geführt, dass die Machtposition gegenüber den Markenherstellern weiter ausgebaut werden konnte. Darüber hinaus steigt der Anteil an Eigenmarken in den umsatzstarken Kategorien. Die Nachfragemacht des Handels sorgt bei Konditionsverhandlungen dafür, dass die Gewinnmargen der Hersteller weiter sinken und Marktrisiken verstärkt von den Herstellern getragen werden müssen. Das Ziel ist klar. Mittelfristig wird der Handel höhere Endverbraucherpreise durchsetzen um seine heute geringen Margen signifikant zu erhöhen.

Es drängt sich daher die Frage auf, wo in diesem Konstrukt eigentlich der Verbraucher steht. Wie groß ist Verbrauchermacht wirklich, wenn das Geschäft mit Lebensmitteln von ein paar wenigen Multis kontrolliert wird – nicht nur auf Händler-, sondern natürlich auch auf FMCG-Seite?

Natürlich fordern Verbraucher zunehmend Transparenz in Sachen Herkunft von Lebensmitteln, aber wie einfach ist das durchzusetzen? „Bio“ ist für Lebensmittelproduzenten längst kein Differenzierungsmerkmal mehr, sondern opportunistisches Marketingargument. Selbst „Fairtrade“ bietet keine Sicherheit für nachhaltigen Konsum. Zumal sich dabei immer die Frage stellt, wer (auf Hersteller-, Händler- und Informationsseite) welche Interessen verfolgt und wie es demnach mit der Glaubwürdigkeit bestellt ist.

Es bleibt uns Verbrauchern nichts anderes übrig als zukünftig noch genauer hinzusehen. Dazu gehört ein gewisses Know-how in Sachen Lebensmittel ebenso wie Grundwissen über Handel, Produktion und Nachhaltigkeit. Nur ein aufgeklärter Verbraucher kann kluge Konsumentscheidungen treffen. Und das müssen wir, wenn uns daran gelegen ist uns angesichts geballten Industriemarketings gut und verantwortungsvoll zu ernähren. Regionalität und Saisonalität können dabei entscheidende Schlüssel sein, vorausgesetzt, wir wissen uns ihrer zu bedienen.

Karstadt – (m)ein persönliches Aufnimmerwiedersehen

Ein wenig überrascht war ich schon, als ich die Meldung las, dass Breuninger jüngst zum drittbesten Kaufhaus der Welt gewählt wurde – hinter Selfridges (UK) und Macy’s (USA). Ich muss allerdings zugeben, dass ich Breuninger aus eigener Anschauung nur aus meiner (lange zurückliegenden) Studentenzeit in Würzburg kenne. Meine Überraschung rührt auch eher daher, dass es hierzulande offensichtlich eine Warenhauskette mit Potenzial gibt.

Dieses Potenzial spricht man den beiden großen Warenhausbetreibern in Deutschland gemeinhin ab, wobei die Metro-Tochter Kaufhof insgesamt vergleichsweise gut dasteht. Karstadt ist das Problem. In der vergangenen Woche schmiss Eva-Lotta Sjöstedt nach nur vier Monaten als Geschäftsführerin das Handtuch. Grund sind offenbar sehr unterschiedliche Vorstellungen zwischen Management und Gesellschaftern hinsichtlich (dringend benötigter) Investitionen.

Nun will Mehrheitsgesellschafter Nicolas Berggruen Karstadt wohl an seinen Mitgesellschafter abstoßen. Der österreichische Immobilieninvestor Signa, der neben den Luxushäusern Oberpollinger (München), KaDeWe (Berlin) und Alsterhaus (Hamburg) bereits mehr als 20 Karstadt-Immobilien besitzt, könnte die restlichen Kaufhäuser der Gruppe wohl für einen symbolischen Euro erwerben. Eine weitere Option wäre eine Übernahme durch Kaufhof, was die Metro-Gruppe jedoch ablehnt. Die SZ (Nr. 158 vom 12./13.7.14) mutmaßt, dass dafür ohnehin nur etwa 20 (von mehr als 80) Filialen in Frage kämen.

Wie konnte das passieren? Wie konnte eine so fest mit deutschen Einkaufsstraßen verbundene Warenhaus-Marke wie Karstadt in eine so verzweifelte Lage geraten? Die Situation um Nicolas Berggruen und Signa ist sicherlich nicht unkompliziert, soll aber hier keine größere Rolle spielen. Viel mehr interessiert mich, welche Fehler bei Karstadt selbst gemacht wurden und werden. Ich glaube nämlich, dass ein Blick auf die Historie und Gegenwart des derzeitigen Karstadt-Dramas stellvertretend für die Probleme eines Großteils des stationären Handels sein dürfte.

Meine Perspektive dabei? Die des interessierten und engagierten Verbrauchers. Ich gehe (bzw. ging) nämlich grundsätzlich ganz gerne zu Karstadt. Genauer gesagt ist (bzw. war) Karstadt sogar fast immer meine erste Anlaufstelle beim Offline-Shopping. Ja, richtig gelesen: beim Offline-Shopping. Denn der große Unterschied zu früher ist, dass Online die Regel und der Laden die Ausnahme für mich ist. Ich verschone den geneigten Leser an dieser Stelle mit Ausführungen zu Multichannel & Co., mir geht es um meine ganz persönliche Wahrnehmung als Kunde in der Karstadt-Filiale.

Erste Anlaufstelle ist (bzw. war) Karstadt für mich vor allem deshalb, weil das Sortiment sehr breit ist. Ich bekomme nahezu alles unter einem Dach und muss nicht von Geschäft zu Geschäft laufen. Früher wurde man für eine solche Haltung mitunter kritisiert, da man den übrigen Einzelhandel auf diese Weise verschmähte. Heute ist Online-Shopping angeblich die Wurzel allen Übels, da die innen- und innerstädtischen Strukturen auf diese Weise zerstört würden. Beide Argumentationen halte ich für ausgemachten Blödsinn.

Zurück zu Karstadt, genauer gesagt: zur Kölner Filiale auf der Breite Straße. Und hier merkt der erfahrene Karstadt-Shopper: Der Mann hat Glück, denn in der Provinz (nicht abwertend gemeint) ist Karstadt nicht unbedingt gleich Karstadt. Köln also. Im Untergeschoss befindet sich eine gehobene Lebensmittelabteilung („perfetto“). Früher bestach sie durch qualitativ einzigartiges Obst/Gemüse, doch diese Zeiten scheinen längst vorbei. Immer öfter mache ich die Erfahrung, dass entweder vieles ausverkauft oder das Obst und Gemüse von durchschnittlicher Qualität ist. Auch kann ich mich nicht daran erinnern, dass der Marktleiter früher angeschimmelte Erdbeeren oder von Fliegen übersäte Tomaten toleriert hätte. Das Know-how an der Fleischtheke (und ich bin wahrlich kein Experte) ist manchmal unterirdisch. Kurz: Es gibt für mich keinen Grund mehr bei perfetto einzukaufen.

Womit ich zum Personal komme. Das wäre m.E. der mit Abstand größte Wettbewerbsvorteil des stationären Handels am Point-of-Sale gegenüber allen Formen des Distanzhandels. Ich bleibe im Konjunktiv, denn an dieser Stelle herrscht die größte Diskrepanz zwischen Chance, Anspruch und Realität vor. Um eines gleich klarzustellen: Die Probleme sind durch die Konzernführung und das höhere Management verursacht, die/der einzelne VerkäuferIn ist das schwächste Glied in dieser Kette. Man merkt den bedauernswerten Menschen zunehmend eine große Verunsicherung an, und unter dieser leidet die Motivation gewaltig.

Ich möchte freundlich bedient werden; nicht mehr, aber auch nicht weniger. Ich verzichte an dieser Stelle auch auf ein (vermutlich unfaires) Benchmarking mit japanischen Supermärkte, bei denen der Kunde tatsächlich noch König oder eher Kaiser (pun intended!) ist. Ich verlange auch keine permanente Bauchpinselei oder übertriebene Unterwürfigkeit. Ich möchte einfach nur netten, guten und aufmerksamen Service. Doch das ist offenbar bereits zu viel verlangt.

Meine frustrierenden Besuche bei Karstadt kann ich inzwischen nicht mehr an zwei Händen abzählen. Manchmal ist das auch lustig (wenn man Galgenhumor mag), denn ich achte gelegentlich ganz bewusst darauf, mit welchen Tricks sich die MitarbeiterInnen aus meiner Shopping-Umgebung entfernen, sobald ich ihren Bereich oder ihre Abteilung betrete.

Natürlich gab 8und gibt es auch tolle Erfahrungen bei Karstadt (erst vor ein paar Wochen wurde ich exzellent zum Thema Pfannen beraten) und sicherlich gehe ich nach wie vor gelegentlich in eine Karstadt-Filiale. Aber das Problem ist: Es würde mir nichts fehlen, wenn es Karstadt nicht mehr gäbe. Dass ich dies einmal in solcher Deutlichkeit sagen würde, betrübt mich selbst.

 

Dieser Blogpost wurde zunächst bei der deutschsprachigen Huffington Post veröffentlicht.