5 Dinge, die Männer* verstehen müssen

[Here’s an English version of this article on Medium.]

Bereits die Überschrift wird dazu führen, dass einige Männer* auf die Barrikaden gehen. „Ich muss gar nichts“ ist in diesem Zusammenhang eine zu erwartende Reaktion, die mir selbst nicht ganz fremd ist. Doch im Kontext Patriarchat – Privileg – System ist es unerlässlich, dass ich bestimmte Befindlichkeiten zumindest temporär ablegen kann, um einen Lernerfolg möglich zu machen. Und einen solchen brauchen wir. Wir benötigen ein Verständnis über einige der Zusammenhänge, die uns zwar unmittelbar betreffen, deren negative Auswirkungen jedoch ganz andere Gruppen belasten oder sogar bedrohen. Beginnen wir mit dem Thema Privileg.

Privilegien sind strukturell eingebettete Vorteile.

Ich bin ein cis Mann. Das bedeutet, ich identifiziere mich mit dem sozialen Geschlecht, das mir seit meiner Geburt aufgrund meiner körperlichen Merkmale zugeschrieben wird. Die lateinische Vorsilbe cis bedeutet „diesseits“, im Gegensatz zu trans, das für „jenseits“ steht. Bereits an dieser Stelle könnte man sich mit einem Blick auf Strukturen und Systeme fragen, welche gedachte Linie der Normativität hier gezogen wird und wer etwa die Deutungshoheit über diese Linie besitzt.

Aber ich bin noch mehr: Ich bin weiß, habe keine Behinderung, bin mit 1,90m recht groß, bin heterosexuell und bin in einer sozial mehr oder weniger privilegierten Familie in Deutschland geboren und aufgewachsen. Ich bin aufgrund meiner unveränderlichen Identitätsmerkmale also de facto hyperprivilegiert. Und dies bedeutet wiederum, dass ich aufgrund verschiedener systemischer Rahmenbedingungen Rückenwind erlebe. Ich profitiere innerhalb von Kapitalismus, Rassismus oder Patriarchat, ohne dass ich etwas dafür getan hätte oder tun müsste. Systeme sind jedoch komplex, so dass sich ein etwas genauerer Blick darauf lohnt.

In patriarchalen Systemen wirken doppelte Hierarchien.

Als Mann laufe ich tagtäglich Gefahr, manipuliert zu werden. Und zwar von einem System, das mir einerseits vorgaukelt, ich sei als Mann den Frauen überlegen, während mich dasselbe System permanent dazu anhält, mich auch gegen andere Männer* zu behaupten. Man nennt dieses systemimmanente Phänomen „doppelte Hierarchie“. Das System hat auch einen Namen, es ist das Patriarchat.

Aber es kommt noch schlimmer. Denn sobald Männer* mitbekommen, dass Mitglieder bestimmter Gruppen – Frauen etwa – Unterstützung erhalten, damit systemische Ungerechtigkeiten ausgeglichen werden können, dann bricht sich die männliche Frustration Bahn und es wird vehement oder passiv-aggressiv auf derlei Bestreben reagiert. Ein Beispiel ist die Einführung einer Frauenquote. Man(n) fühlt sich unmittelbar ungerecht behandelt, denn für Menschen mit Privilegien fühlt sich Gerechtigkeit nun einmal wie Benachteiligung an1. Der Schweizer Männerforscher Markus Theunert formulierte es in einem Interview wie folgt: „Das Kernprivileg der Männer ist die Illusion, nicht privilegiert zu sein.“2 Wer bei diesen Sätzen bereits einen Knoten im Hirn spürt: Das ist Absicht. Was uns unmittelbar zum nächsten Punkt bringt.

Der Zweck eines Systems ist, was das System tut.

Der Satz stammt von dem britischen Kybernetiker Stafford Beer. Er gibt damit einen Hinweis darauf, dass sich der Blick auf die Wirkweisen von uns umgebenden Systemen nicht nur lohnt, sondern sogar unerlässlich ist. Wir alle müssen uns immer wieder Fragen stellen: Sind die Auswirkungen eines bestimmten Systems oder der von uns geschaffenen Strukturen tatsächlich noch die, die wir ursprünglich intendiert hatten? Haben sich im Laufe der Zeit unerwünschte und/oder nicht intendierte Auswirkungen ergeben, die ggf. längst nicht mehr hilfreich oder sogar kontraproduktiv oder gefährlich sind? Oder aber war die Grundintention des Systems genau dies: Menschen abzuwerten, um anderen Menschen einen Vorteil zu verschaffen? Rassistische Systeme wären etwa ein Beispiel für Letzteres.

Die Frage „Cui bono?“, also: „Wem nützt das?“, ist stets ein guter Ausgangspunkt für die Betrachtung von Systemen und Strukturen. Ijeoma Oluo schreibt in diesem Zusammenhang: „Um uns zu befreien, müssen wir jedes einzelne System, in dem wir uns befinden, in Frage stellen – auch die Systeme, von denen wir uns noch nicht trennen können.“3 Damit sind keine Verschwörungstheorien als Grundlage für fragiles Ausagieren gemeint gegen den Status Quo, sondern ganz im Gegenteil: Es braucht eine konstruktiv-kritische, demokratiezugewandte und wertschätzende Grundhaltung für die Transformation.

Der Blick auf systemische Rahmenbedingungen sollte dabei stets möglichst ganzheitlich und multiperspektivisch erfolgen. Wenn ich beispielsweise Strukturen und Prozesse in einer Organisation vor diesem Hintergrund betrachte, dann tue ich gut daran, auch einen Blick auf Kultur und Kommunikation, auf Verhalten und Fähigkeiten von Individuen, sowie auf Haltung und Mindset der beteiligten Personen zu richten; und vor allem: auf die Wechselwirkungen zwischen diesen Bereichen. Erst dann kann ich den Status Quo des Gesamtsystems und dessen Auswirkungen auf bestimmte Gruppen kompetent evaluieren. Zumal dann auch klarer wird, dass systemische Dysbalancen keine Grundlage für ganz bestimmte Opferrollen bieten, die nicht selten den Dialog erschweren oder gar verunmöglichen.

„Alter weißer cis-hetero Mann“ taugt nicht als individueller Vorwurf.

Die Diskussion über Privilegien führt häufig dazu, dass sich identitätspolitische Grabenkämpfe noch verschärfen. Nicht wenige weiße cis-hetero Männer empfinden die Zuschreibung „alter weißer Mann“ als Fundamentalkritik an ihrer Person. Doch wer bei der Erklärung von Privilegien vs. System aufgepasst hat, hat vielleicht bemerkt, dass aus einer privilegierten Identitätskonstruktion schon allein deshalb kein Vorwurf erwachsen kann, weil die betroffene Person für ihre Privilegien nichts getan hat. Somit liefe auch ein daran geknüpfter Vorwurf unmittelbar ins Leere. Es geht vielmehr um die Benennung einer Überrepräsentation einer bestimmten Gruppe als Beispiel für eine systemische Schieflage. Der Mann ist hier nicht als Individuum adressiert, sondern in seiner Rolle als Mitglied einer sozialen Gruppe.

Und dennoch gilt die daraus entstehende Entlastung nur für einen recht kurzen Zeitraum. Denn aus Privileg erwächst Verantwortung. Männer* haben überdurchschnittlich viel Macht, Geld und Einfluss. All dies gilt es für eine Veränderung von Systemen hin zu mehr Fairness und Gerechtigkeit in die Waagschale zu werfen. Bleibt eine derartige Verantwortungsübernahme aus, ist ein Vorwurf dann irgendwann doch gerechtfertigt. Zumal es unmittelbar eine weitere gedankliche Hürde zu nehmen gilt.

Ich kann bei bester Absicht ein Teil des Problems sein.

Die australische Soziologin Raewyn Connell prägte u. a. den Begriff einer „patriarchalen Dividende“. Sie beschrieb damit das Phänomen, wonach Männer* in patriarchalen Systemen ohne eigenes Zutun profitieren. Zwar bedeutet das nicht, dass alle Männer* im Patriarchat gleichermaßen Vorteile genießen (vgl. doppelte Hierarchie) oder dass Frauen nicht profitieren können (Spoiler alert: Sie können), dennoch beschreibt der Begriff recht anschaulich die Funktionsweise derartiger Systeme.

Es gibt aber auch eine Schattenseite. Denn Männer* werden einerseits zwar durch patriarchale Anreize besser gestellt, gleichzeitig aber auch anhand ihres theoretischen Gefahrenpotenzials pauschal beurteilt. Ein Mann stellt für eine weiblich gelesene Person (bzw. u. U. auch für andere, weniger privilegierte Männer*) mindestens eine theoretische Bedrohung dar.

Wechselt eine Frau also beispielsweise in einer dunklen Seitengasse die Straßenseite, sobald sie meiner gewahr wird, dann ist eine unmittelbare Reaktion nach dem Motto „Warum tut sie das, ich bin doch keiner dieser bösen Männer?!“ zwar nachvollziehbar, aber dennoch unangebracht: Sie muss schlicht davon ausgehen, dass ich eine potenzielle Bedrohung für sie bin. So perfide ist ein System, in dem der Femizid die Spitze eines ebenso entsetzlichen wie komplexen Eisbergs darstellt.

Wer sich lediglich verbal davon distanziert, indem er eine Linie zwischen sich und „den bösen Männern“ zieht, der verkennt nicht nur das Problem, sondern verweigert sich einer nötigen Reflexion über die eigene Rolle. Wenn ich hingegen die Perspektive annehmen kann, das ich – trotz bester Absicht – ein Teil des Problems innerhalb patriarchaler Strukturen sein könnte, dann ist dies ein wichtiger erster Schritt hin zu einer Lösung, an der ich tatsächlich auch beteiligt sein kann.

*Das Sternchen hinter „Männer“ soll dafür sensibilisieren, dass die binären Geschlechterkategorien recht eng und oft unflexibel sind. Es ist ein Hinweis darauf, dass die Geschlechtervielfalt ebenso groß ist wie ihre individuellen und kollektiven Zuschreibungen fluide sind.

Foto von Matthew Henry bei Unsplash

  1. Diese Aussage wird Romeo Bissuti, dem Psychologen und Leiter des Männergesundheitszentrums Wien, zugeschrieben. ↩︎
  2. Das Zitat stammt aus diesem Interview mit der NZZ: https://www.nzz.ch/nzz-am-sonntag/man-tut-so-als-waere-es-erstrebenswert-mann-zu-sein-ld.1737954 ↩︎
  3. Zitiert aus dem Vorwort zu: Tulshyan, Ruchika. Inclusion on Purpose. Cambridge, Mass., MIT Press. 2022. ↩︎

Über Kontrollverlust in Organisationen

Der Druck auf die Führungsebenen von Organisationen ist groß. Und er steigt weiter. In einer komplexen BANI-Welt mit einer Vielzahl an Herausforderungen bei gleichzeitig zunehmender Verdichtung von Aufgaben und zunehmender Rollenverantwortung wird schnell offensichtlich, wenn entsprechende individuelle Führungskompetenzen fehlen. Häufig wird seitens der Führungskräfte Kontrollverlust spürbar. Und oft sind es sogar die strukturellen Rahmenbedingungen unserer organisationalen Systeme, die Kontrolle einerseits unverzichtbar machen, ihre Ausübung aber andererseits zunehmend erschweren.

Ein Impuls vieler Führungskräfte, die dieses Dilemma erleben, ist steigender Kontrollzwang. Sie kompensieren den Verlust mit einer Verstärkung im Außen. Die Organisation belohnt ein solches Verhalten, da nicht zuletzt in krisenhaften Zeiten „der starke Mann“ als normativ verstanden wird. Und die Hierarchie spielt mit, indem die nächsthöhere Führungskraft Kontrolle legitimiert. Gleichzeitig steigt der Druck weiter, da niemand interveniert und die Kontrollspirale unterbricht. Gespräche darüber finden nicht statt. So werden Kultur und Struktur zu einer Gefahr für Kreativität und Kollaboration. Von psychologischer Sicherheit weit und breit keine Spur.

Die Soziologin und Expertin für gewaltfreie Kommunikation, Miki Kashtan, die sich selbst als „practical visionary“ bezeichnet und u. a. als Autorin, Mediatorin und Coach international tätig ist, weist in einem Podcast-Interview in diesem Zusammenhang darauf hin, dass in klassischen Organisationen nach wie vor zwei Grundprinzipien in Wirkung seien: Command & Control als Führungsprinzip auf der vertikalen und Competition als Funktionslogik auf der horizontalen Ebene. Innerhalb einer solchen Konstellation sei es nahezu unmöglich, so Kashtan, das für die Transformation notwendige Vertrauen zwischen Menschen herzustellen. Gerade dieses Vertrauen ist jedoch Grundvoraussetzung, aus klassischen kontrollfokussierten Leadership-Paradigmen auszusteigen.

Gleichzeitig, so Kashtan weiter, sorge das vorherrschende Prinzip (bei aller Kritik an seinem Wesen) für ein gewisses Maß an Orientierung. Man könne es demnach nicht einfach für beendet erklären und selbstorganisierte, agile und/oder auf Team-Autonomie basierende Strukturen einführen, ohne die dafür notwendige innere und organisationskulturelle Vorarbeit zu leisten. Tut man es dennoch, drohen Chaos, Orientierungslosigkeit und Frustration innerhalb der Change-Prozesse und Führungsbeziehungen der Transformation.

Miki Kashtan nennt in diesem Zusammenhang einen auf menschlichen Bedürfnissen basierenden und gemeinsam auszuhandelnden Sinnzweck (oder Purpose) als wesentlich für Orientierung und Motivation: 

„So it’s like you can’t really trust anyone in those [i. e. command & control and competition] environments. And yet, that provides a certain kind of odd coherence. So if you remove that, you need something else to create coherence. And that comes from purpose at all levels, which is very, very, very closely related to needs. And it also comes from having agreements about how you function together (…).”

Nun ist es für Manager*innen, die innerhalb klassischer Organisationslogiken sozialisiert wurden, ausgesprochen schwer, ihre Perspektive auf die Bedürfnisse ihrer Mitarbeitenden auszurichten. Zum einen haben sie häufig selbst wenig bis keinen Kontakt zu ihren eigenen Bedürfnissen, geschweige denn: zu den Faktoren, die diese Bedürfnisse beeinflussen. Die für ein solches Grundverständnis notwendige innere Arbeit wird nur in den seltensten Fällen durch Unternehmen ermöglicht. Es besteht schlicht kein Bewusstsein dieser Zusammenhänge. Zum anderen ist Kontrolle nach wie vor das wesentliche Führungsprinzip der meisten Manager*innen. Die alternative Etablierung tiefer Vertrauensbeziehungen fühlt sich aktuell wie ein maximaler Kontrollverlust an.

Doch zu glauben, dass die Aufrechterhaltung von Kontrolle die eigene Führungsarbeit erleichtert oder sogar eine Grundvoraussetzung für diese sein sollte, führt direkt in die Machtlosigkeit. Wenn ich als Führungskraft handlungsfähig bleiben will, muss ich schnellstmöglich die Voraussetzungen dafür schaffen, Kontrolle abzugeben und ein tiefes Vertrauen innerhalb menschlicher Beziehungen entwickeln. Es bleibt mir gar nichts anderes übrig, wenn ich handlungsfähig bleiben bzw. werden will. Denn der Kontext verändert sich rapide. Doch Führungskräfte, die hier schon weiter sind, haben mitunter einen schweren Stand in der Organisation. Sie werden als Bedrohung für den Status Quo interpretiert. Eine Unternehmenskultur, die wie ein Immunsystem funktioniert, isoliert solche Menschen quasi als Normabweichung.

Und es kommt ein wesentlicher Faktor hinzu, der kulturelle Abwehr- und Bewältigungsreaktanzen triggert. Die exponentielle Entwicklung generativer KI entwertet die klassischen Kontrollmechanismen und Führungsmetriken. Faktoren wie Fleiß oder überdurchschnittliches zeitliches Commitment werden aufgrund technologischer Potenziale schon sehr bald keinerlei Aussagekraft mehr besitzen und als Differenzierungsfaktor zur Gänze entwertet. Mehr noch: Wem es zukünftig nicht gelingt, genügend Freiraum und ausreichend Energie für sich selbst und die Menschen in der eigenen Führungsverantwortung zur Verfügung zu stellen, damit kreative Höchstleistungen überhaupt erst möglich werden, hat ein massives Problem.

Höchstleistungen entstehen in den seltensten Fällen innerhalb linearer, klar strukturierter oder gar vorgegebener Projektabläufe oder Lösungsräume. Stattdessen werden Serendipität und organisationale Resilienz zu wesentlichen Grundbedingungen für Innovation und Erfolg. Voraussetzung auf Seiten der Manager*innen sind Reflexionsbereitschaft, Ambiguitätstoleranz und immer wieder: Vertrauen. Führungskräfte, die da nicht mitgehen können oder wollen, sind größtenteils bereits heute riskant für die gesamte Organisation.

(Bildquelle: Stephan Mahlke bei Unsplash)

Was, wenn die Frauen gar nicht (mehr) wollen?

Vor schwarzem Hintergrund sieht man eine junge weiße Frau mit skeptischem Gesichtsausdruck, die ihren Kopf in ihre linke Hand stützt. Foto von Niklas Hamann bei Unsplash.com.
Foto von Niklas Hamann bei Unsplash.com

Einst saß ich bei einer Veranstaltung mit sechs Frauen an einem Tisch, darunter eine promovierte Abteilungsleiterin aus der Automotive-Industrie, eine Partnerin einer juristischen Großkanzlei, eine IT-Spezialistin in Führungsposition. Allesamt top ausgebildete Führungs- und Fachkräfte mit Erfahrung und Expertise. Jede dieser Frauen repräsentierte auf unterschiedliche Weise das, was nicht nur in Zeiten des Fachkräftemangels heiß begehrt sein sollte: eine ausgesprochen begehrte Ressource. In der Theorie jedenfalls.

Das System vertreibt seine Hoffnungsträgerinnen

Denn keine der Frauen an meinem Tisch befand sich noch in einem regulären Anstellungsverhältnis. Sie alle hatten ihren Arbeitgeber:innen den Rücken gekehrt und waren nun auf der Suche nach (Neu-)Orientierung. Sie hatten hingeworfen, wollten einfach nur raus. Raus aus dem Unternehmen, raus aus dem System. Einige der Frauen hatten sich bereits selbstständig gemacht, manche brauchten erst einmal eine längere Pause. Und so unterschiedlich die diesbezüglichen Entscheidungsgründe dieser Frauen auch gewesen sein mögen: Es ergibt sich ein Muster.

Ihnen allen war die Erschöpfung und die Frustration anzumerken, die das z. T. jahrzehntelange Sich-Behaupten in patriarchalen und hyperkapitalistischen Umgebungen (nicht nur, aber insbesondere) für Frauen nach wie vor mit sich bringt, allen Bekundungen aus den Veranstaltungen in Diversity Weeks und an International Women’s Days zum Trotz. Diese Frauen hatten es versucht, im System erfolgreich zu sein. Sie hatten gekämpft, sich angepasst, Kompromisse geschlossen, gelitten. Bis es eben nicht mehr ging.

Dieses Muster setzt sich, kaum überraschend, auch in den allerhöchsten Führungsebenen in Wirtschaft und Politik fort. Youtube-CEO Susan Wojcicki, die Chief Business Officer von Meta, Marne Levine, Nicola Sturgeon in Schottland oder die neuseeländische Ministerpräsidentin Jacinda Ardern sind die jüngsten prominenten Beispiele von Frauen, die hingeworfen haben. Und so unterschiedlich die individuellen Gründe auch hier gewesen sein mögen: Diese Frauen gingen aus Gründen, deren Ursachen vor allem im System zu finden sind. Ein Blick in die deutsche Kommunalpolitik offenbart dasselbe Phänomen: kaum Bürgermeisterinnen, statt dessen „Old Boys‘ Networks“ und Rahmenbedingungen, die von Dauerpräsenz und Terminhetze geprägt sind.

Durchhalten als Strategie?

Und dennoch rufen wir all den Frauen noch immer zu, sie sollten sich doch endlich trauen, sich anstrengen, Verantwortung und Führung übernehmen, sich anpassen, Organisationen von innen verändern helfen oder gar „ihren Mann stehen“. Und wir bringen ihnen nach wie vor bei, wie sie sich zu kleiden, wie sie zu sprechen oder wie sie sich hinstellen sollen, damit wir sie akzeptieren. Spinnen wir eigentlich?

Sind unsere Durchhalteparolen vielleicht eine Art zynischer Selbstschutz? Verhalten wir uns so, gerade weil wir wissen, wie es in vielen Unternehmen, Parteien oder Wissenschaftseinrichtungen aussieht? Indem wir suggerieren, Frauen könnten alles erreichen, kehren wir die Verantwortlichkeiten um. Denn wer es dann nicht „schafft“, die hat sich vielleicht nicht gut genug angestrengt?

Spätestens an dieser Stelle muss es einmal mehr heißen: „Stop fixing women, fix the system.“ Zuallererst sollten wir damit aufhören, Appelle zum Durchhalten oder Durchbeißen als „Empowerment“ zu framen. Denn heute bestärken und ermutigen wir Frauen meist dahingehend, dass wir ihnen dabei helfen, sich durchzukämpfen, Dinge auszuhalten, es nicht so schwer zu nehmen.

„Frauen lehnen angebotene Führungspositionen deshalb häufig ab, weil sie die Auswirkungen der für sie nachteiligen systemischen Rahmenbedingungen ganz genau kennen.“

Denjenigen an der Spitze der Hierarchien kann das nur recht sein. Sie müssen sich nicht verändern, vielmehr bekommen sie auch noch die ebenso praktische wie eindimensionale Story serviert, nach der sie selbst ja offen seien für mehr Frauen Macht- und Führungspositionen. Wenn diese solche Angebote und Positionen ablehnten, liege es eben an deren mangelnder Ambition. Wir nennen unsere Angebote allen Ernstes „Chancen“.

Wie absurd dieses Narrativ ist, zeigt sich, wenn man genauer hinsieht. Denn das genaue Gegenteil ist richtig: Frauen lehnen angebotene Führungspositionen vor allem deshalb häufig ab, weil sie die Auswirkungen der für sie nachteiligen systemischen Rahmenbedingungen ganz genau kennen. (Dass sie überhaupt eine Wahl haben, privilegiert diese Frauen ironischerweise sogar, aber anderes Thema.)

Mindestens zwei Gründe für einen „Nein“

Bei der Entscheidungsfindung für oder gegen eine angebotene Führungsposition sind Frauen mindestens zwei Zusammenhänge schmerzlich bewusst. Erstens: ihre Mental Load und deren Hauptursache. Unter Mental Load versteht man die Belastung, die durch eine Vielzahl an Aufgaben (sog. „Micro-Tasks“) rund um Sorgearbeit entsteht; das also, was insbesondere Mütter nachts wachliegen lässt, wenn wieder einmal die unendliche ToDo-Liste im Kopf kreist. Nicht etwa, weil Mütter Care-Arbeit leisten sollten, sondern weil sie es heute noch de facto überwiegend tun.

Laut zweitem Gleichstellungsbericht der Bundesregierung liegt die durchschnittliche Gender Care Gap bei 52,4 Prozent. In Haushalten mit Kindern beträgt die Lücke 83,3 Prozent: Jede Mutter in Deutschland leistet im Durchschnitt also zweieinhalb Stunden mehr Care-Arbeit pro Tag als jeder durchschnittliche Mann. Und damit ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie sich Montagmorgens voller Tatentrang und im Besitz von 100 Prozent ihrer Energie an ihr erwerbsarbeitsbezogenes Wochenpensum setzen kann, äußerst gering.

Doch damit nicht genug. Selbst wenn sich eine Frau und Mutter einen Führungsjob tatsächlich zumuten möchte, dann wartet immer noch das nächste Hindernis in Gestalt doppelter Standards: Sie muss in ihrem dann neuen Verantwortungsbereich i. d. R. besser performen als jedes ihrer männlichen Pendants. Sie muss permanent aufs Neue beweisen, dass sie ihre Position verdient hat und dass sie der Aufgabe gewachsen ist. Noch dazu wird sie auch noch stellvertretend für die Gruppe aller Frauen wahrgenommen, „Tokenism“ lautet der Fachbegriff für eine solche Zuschreibung.

Wundert es uns also, wenn Frauen häufiger abwehrend reagieren, wenn wir ihnen die immer gleichen Positionen anbieten, die bis heute ganz selbstverständlich von oft weißen, heterosexuellen cis Männern besetzt sind? Wenn wir wirklich wollen, dass Vielfalt in alle Bereiche vordringen kann, dann müssen wir die entsprechenden Rahmenbedingungen schaffen – und schaffen wollen. Dazu gehört eine völlige Neuverhandlung darüber, wie wir zusammen leben und arbeiten wollen. Mehr desselben ist auch bei der Konstruktion von Rollen und Verantwortlichkeiten kein zielführendes Prinzip.

Für Frauen scheint die Latte geradezu erschreckend niedrig zu hängen, jedenfalls wenn es um die Erwartungshaltung an eine ihnen entsprechende Organisationskultur geht. So äußerte sich eine Mitarbeiterin eines IT-Unternehmens mir gegenüber wie folgt: „Ich bin hier im Unternehmen binnen eines Dreivierteljahres noch nicht völlig desillusioniert worden. Das habe ich bisher in meiner Karriere noch nicht erlebt.“ Sie meinte das durchaus positiv, aber es zeigt zugleich, wo wir z. T. noch stehen.

Warum wir weiter ausholen müssen, wenn wir über DEIB und Transformation sprechen

Kürzlich stieß ich in einem LinkedIn-Post auf einen Artikel des Familientherapeuten Barry Mason mit dem Titel „Towards positions of safe uncertainty“[1], in dem es um den Umgang mit Unsicherheit und Ungewissheit geht. In der folgenden Abbildung wird deutlich, innerhalb welcher Koordinaten Mason argumentiert.

Laut Mason kämen Klient*innen vor allem mit zwei Arten der Unsicherheit in seine Therapiepraxis: mit „unsicherer Gewissheit“ oder mit „unsicherer Ungewissheit“. Mason schreibt: „Es herrscht ein großes Gefühl der Unsicherheit. (…) Verständlicherweise wünscht man sich in diesen Zeiten Veränderung, damit diese Gefühle verschwinden. Sie wollen, dass es jemand besser macht.“ 

Übertragen auf die Beratungspraxis in Organisationen scheint nach wie vor die Erwartungshaltung vorzuherrschen, dass etwa Berater*innen es besser machen sollen, sprich: Lösungen zu liefern hätten, die unmittelbar den Zustand einer sicheren Gewissheit (safe certainty) herstellen. Gerade als Coaches oder Berater*innen fühlen wir uns manchmal geradezu unzulänglich, weil wir einfache Antworten, die alles besser machen, eben nicht präsentieren können. 

Bei näherer Betrachtung ist uns angesichts von BANI und Metakrise natürlich schnell klar, dass das auch schwer möglich ist. Stattdessen ist es eine unserer wesentlichen Aufgaben, unsere eigene Unsicherheit (und die anderer) auszuhalten und zu lernen, in Ungewissheit zu navigieren. „Sitting with discomfort“ ist die vermutlich wichtigste Achtsamkeitsübung in unserer Realität der Hypermoderne. Doch wie können Organisationen es schaffen, ihre Mitarbeitenden aus Umgebungen mit klaren Problemstellungen und linearen Lösungswegen herauszulösen und auf eine Welt vorzubereiten, die brüchig, angstbesetzt, nicht-linear und unverständlich ist?

Mit ConsciousU treten wir genau dafür an. Wir vermitteln Metakompetenzen für die Transformation. Für uns bedeutet dies: Innere Arbeit leisten, das große Ganze sehen, tiefe Beziehungen pflegen und bewusste Rituale praktizieren. Alles, was wir bei ConsciousU tun, zielt darauf ab, Menschen dabei zu helfen, ihre individuelle Bewusstseinsentwicklung und die Entwicklung von Kollektiven zu „Conscious Tribes“ zu fördern:

Wir glauben, dass wir das menschliche Potenzial nur dann entfalten können, wenn wir gleichzeitig in innere Arbeit und in Beziehungsarbeit investieren. Übertragen auf das Modell von Barry Mason bedeutet das, dass wir dabei helfen, eine Ebene der unsicheren Ungewissheit (unsafe uncertainty) nicht nur zu betreten, sondern aushalten zu lernen. Wir tun dies im Kollektiv, indem wir soziales Lernen in sogenannten „Pods“ (i. d. R. Gruppen à drei Personen) so integrieren, dass eine unserer Kernüberzeugungen in Wirkung kommen kann: Gemeinsames Nicht-Wissen und das Aushalten dieses Nicht-Wissens im Kollektiv kann erstaunliche Erkenntnis zu Tage fördern.

Für derlei Prozesse gibt es in den Unternehmen zumeist jedoch weder Raum noch Zeit. Und genau deshalb integrieren wir diese Räume in unsere Programme. Und deshalb schaffen wir auch die zeitlichen Voraussetzungen für die Reflexions- und Aushandlungsprozesse in jenen (digitalen) Räumen. Unsere skalierbaren Online-Coachingprogramme zur Organisationsentwicklung machen also einen nachhaltigen Haltungs- und Bewusstseinswandel erst möglich.

CU*belong ist eines dieser Programme. Darin vermitteln wir auf Basis der genannten Metakompetenzen tiefes Wissen über die wesentlichen Aspekte von Diversity, Equity, Inclusion und Belonging (DEIB). Entstanden ist es aus zwei Gründen: zum einen aus der Beobachtung, dass kurzfristige Interventionen nur wenig Wirkung entfalten; und zum anderen aus der Frustration, dass wirksame Maßnahmen nur sehr selten skalieren. Beide Herausforderungen kann CU*belong bewältigen. Auch Kohorten von mehreren hundert Teilnehmer*innen sind aufgrund der dezentralen und digitalen Programmstruktur möglich. Gleichzeitig sorgt die Konzeption als individuelle und kollektive Lernreise für eine nachhaltige Verankerung von Wissen sowie für die Verbindung rationaler und emotionaler Einlassung.

CU*belong vermittelt systemische Kompetenz sowie Sprech- und Handlungsfähigkeit im Kontext von Inclusive Leadership. Wir sind davon überzeugt, dass sich für Teilnehmer*innen unseres Programms Fragen wie „Was hat das alles mit mir und/oder meiner Arbeit zu tun?“ oder „What’s in for me?“ am Ende von ganz alleine beantworten. Aber nicht nur das: Unser Programm geht viel weiter, indem es die Diskurse miteinander verknüpft und erlebbar macht, wie DEIB mit Nachhaltigkeit und Transformation in Zusammenhang steht. Unsere Pilot-Kohorte von CU*belong startet Mitte Februar 2024. Es sind noch Plätze frei.


[1] Link zum PDF: https://sfwork.com/resources/interaction/04Mason.pdf Ursprünglich veröffentlicht in: Mason, Barry. Towards positions of safe uncertainty. Human Systems (1993). 4 (3–4), 189–200.

The path towards gender equality – re-visiting our current solution spaces

On October 24th, 2022, I had the honor and opportunity to hold an inspirational talk at EIGE’s Gender Equality Forum 2022 in Brussels. I am sharing the recording and the manuscript of my talk.

I very much like the idea of #3StepsForward. And, like most of you, I would even go a hundred steps forward at this point in time, where we are so dearly in need for gender equity in all of our systems.

I have been thinking about my three steps very thoroughly. And I struggled. I struggled with the very first step, because I wanted it to be utterly meaningful and well-designed and impact-oriented and so much more.

What I eventually came up with, might appear under-ambitious or even contrarian; before we take more steps into the directions we mostly agree on, I am convinced that we all need to take a big step back.

Repairing or healing the gender asymmetries and all the other flaws in our systems, requires us to embrace a new sensemaking, a sensemaking, that enables us to see a fuller picture. We need to re-visit our current solution-spaces and check, if we’re really creating the right solutions for the problems that matter most.

I would like to support our big step back by offering some food for thought, some potential changes of perspective. And I will do so by asking a simple question: “What if?”

“What if?” invites us – invites you – to question some of the facts we’ve been working with for quite some time. “What if” provides a new angle which might help us sharpen our perceptions about the very interventions into our systems that we’re all working on so very hard.

#1 What, if women aren’t underrepresented in leadership positions, but structurally excluded, which leads to opting-out of career opportunities not due to a lack of ambition but rather due to a precise understanding of the system?

Representation is not the same as participation. I am a strong advocate for quotas: however, a quota by itself is never the solution. It can be a strong and necessary intervention, especially from the political side in order to send a clear message to stakeholders, that the status quo is no longer acceptable. (The recent initiative for gender balance on corporate boards is a good example and a strong message.)

But representation is not achieved by implementing quotas. It’s only one criterion of a much bigger challenge: the creation of an inclusive organization.

The majority of organizations still doesn’t understand the difference between representation and participation. Or worse, they get it, but rather highlight a few token female leaders – in an otherwise unchanged male-, cis-, hetero- and white-dominated system – instead of truly investing into the necessary work.

I’ve once been approached by the CEO of a medium enterprise in Germany, who was visibly upset because “[W]e have offered the most prestigious leadership jobs to the women inside and outside our organization on a silver platter. But they refuse to take them.”

I asked him to show me what they had put on that very platter. And, of course, it was the same kind of job that would have been – and was in fact – offered to any other person before. A job attractive to older, white cishet men with zero consideration of the realities of women, whose emotional load and care responsibilities and double standards in assessing their potential are adding up to an overburden that is not at all matched by any kind of flexibility on the employers’ side.

Women don’t turn down leadership opportunities for a lack of ambition but because they know what they need. And they know exactly, that they won’t get it in an unchanged system. Because today, and that is what the story of the silver platter is all about, today, we’re expecting people to assimilate to the status quo of our already established systems.

But we can’t afford this cynical approach no longer. We can’t afford the limitation of perspectives. We’re facing multiple crises and a devastating loss of biodiversity. Our white male dominated monocultures in decision-making have led us to a point of almost no return, globally speaking.

I’m not saying that women are the solution to everything. Nor are men the origin of all evil, of course. But instead of trying to fix women, or other structurally excluded groups, we need to instead start fixing our systems. Inclusion and equity and the diverse perspective they bring are not just “nice to have”, they might just be essential to our survival.

Understanding and considering different needs and intersectional preconditions are fundamental to building inclusive cultures. Stop fixing people, fix the system.

#2 What if the focus on diversity categories, above all on gender, is not the marker of a progressive agenda, but rather the perpetuation of a complexity-reduced binary paradigm?

Many companies still believe that just by adding women or PoC or people with disabilities to their pipeline, the whole system will change. But again: representation does not automatically lead to participation.

Quite the opposite, actually. If all we do is adding people from the diversity drawing board to organizations which aren’t “culture-ready”, then we are throwing those people under the bus. “Add diversity and stir” is not a strategy. Organizational cultures often work like an immune system: They either attack or assimilate every outsider who does not behave the way they’re expected.  

Our task is complex. When we start building inclusive cultures, we are immediately confronted with this complexity. Because we’re complex human beings, which means that we are more than just men or women, black or white, disabled or not disabled. We’re all this, altogether, and in various combinations.

It’s called intersectionality: The overlapping and interdependence of all the diversity categories. The concept has been first described by Kimberlé Crenshaw and is based in the lived experience of Black women. And this intersection – being black and being female – is extremely relevant: The first categories we notice when we encounter someone we haven’t met before, are their color of skin and their gender.

Complexity is part of our modern “VUCA” world, a world of volatility, uncertainty, complexity and ambiguity. We can ignore it. But if we do so, sooner or later somebody will say: “If this is your best solution, then please give me back my problems”. What I mean is: In order to create our solution-spaces, we first need to acknowledge the complexity of our challenges.

And one further remark: I do understand the frustration of feminist activists, who, after years of struggle and before their demands have even been met, are now being asked to also consider the lived experience of all marginalized people. However, we need to remember that fairness and equality aren’t zero-sum games. Equal rights for others don’t mean less rights for you. It’s not pie. You don’t have to suffer more just because you are also advocating for the rights of others.

#3 What if Diversity & Inclusion and gender equality aren’t viable solution spaces for our core problems, but substitute debates which prevent the development of post-capitalist alternatives?

I have to admit: This is a provocative question. But from time to time, we need to provoke a process of re-calibrating our strategies if we really want to bring change and create impact. Gender equity as a substitute debate? It’s not nice to be confronted with something like this, I do understand that. But think about it.

The rules of the game are being moved marginally, while the system logic itself remains fundamentally untouched. Exchanging the players in a broken system does not fix the system but it might break the players. And the meta-logic of our systems can be understood if we look at the economic spheres.

The pyramid depicts four economic spheres that are built upon each other. Each sphere emerges from, and relies on, the sphere below. Nature is the primary producer of resources for the continuation of human beings and all other species.

The production sphere is essentially dependent on the reproduction of the workforce. For instance, the financial sector rises upon the accumulation of capital generated by the production sector. Finance and production are monetized, and reproduction and nature remain in the non-monetized sphere.

Conventional economics analyses only the monetized spheres whereas feminists describe economics as a discipline concerned with all four spheres. Harmonization of the four spheres, in terms of their time cycles and resources, is necessary to prevent conflicts that could lead to crisis. For example, when the production sphere does not leave enough time for reproduction, the outcome is a crisis of care.

Feminist economists advocate for a sustainable and inclusive economics not only to overcome gender inequalities but also to transform economics into a field that aims for the reproduction and well-being of all species.

Care – or re-production – as well as our planet are suffering. Because they are being taken for granted by systems that are part of something we could call hypercapitalism.

I don’t mean to make capitalism responsible for all evil. It’s been a great system if you look at global progress over the last 150 years. But its current form leads to massive inequalities because capitalism needs growth. Never-ending growth. The required mindset shift is from extractive to regenerative.

If we’re throwing resources onto a substitute problem, the core problem remains largely untouched and the desired outcome will not be achieved.

I would like to close with one concrete example of a substitute problem: work/life compatibility. When it comes to re-entries after childbirth, we’re offering part-time positions to young mothers that often “relieve” them of in-person appointments with clients. But can you see what we’re doing here?

We’re making an offer to women, pretending to ensure work/life compatibility… an offer, that will play out to their disadvantage in the long run. Why? Because THE main requirements for advancement in an average company are long hours, constant availability and billable client facing time!

This is the dilemma I am talking about. Unless we’re willing to discuss the core problem of a system based in the hyper-capitalist growth dogma marked by constant availability, full-time or over time work and the judgment about which activities qualify as “value added”,any attempt to solve the substitute problems that derive from that, will fail.

Attempting to establish work-life compatibility in the status quo places the responsibility for work-life integration, or failure thereof, in the hands of those individuals who are doing the work. By doing so, we continue to alienate those whom we’re supposed to be doing the work for.

To conclude, here is my challenge to all of us: Instead of trying to fix surface problems, let’s ask more “what if?” questions. Let’s take a step back to understand the problem first and uncover the unseen assumptions driving it. Let’s dare to think bigger.

I have come to the end of my time. I am very grateful for this opportunity and grateful for your attention. Best of success to all of us.

Diversity & Inclusion: Schluss mit dem So-tun-als-ob!

(Dieser Artikel ist der zweite Teil einer Mini-Serie, Teil eins dieses Artikels hieß: Nachhaltigkeit ist kein Business Case.)

(Foto von José Martín Ramírez Carrasco bei Unsplash)

So sehr sich die Diversity-Aktivitäten der meisten Unternehmen inzwischen gleichen, so ähnlich entwickeln sich auch die Schwierigkeiten bei der Arbeit an inklusiven Organisationskulturen. An solchen Kulturen also, die faire Zugänge und die Teilhabe und Zugehörigkeit möglichst aller sozialen Gruppen sicherstellen sollen. Die Herausforderungen sind komplex, sobald man sich auf intersektionale Perspektiven einlässt, anstatt Maßnahmen für lediglich einzelne Vielfalts-Dimensionen (wie z. B. Gender) einzuführen. Zusätzlich steigt der Druck aufgrund sich verändernder und z. T. gegenseitig bedingender Rahmenbedingungen.

Und dann wird es eben irgendwann schwierig, auch, weil ich ja gar nicht mehr so recht auseinanderhalten kann, welche Maßnahmen denn nun eigentlich zu genau welchen Ergebnissen führen. Und natürlich bewegen wir uns in komplexen sozialen Systemen, was dazu führt, dass einzelne Interventionen und deren Auswirkungen gar nicht unter Laborbedingungen ausgewertet werden können.

Ursachen und Wirkungen

Die soziale Ebene der Nachhaltigkeit, also das „S“ in „ESG“, hat zudem die Herausforderung, dass es einfacher ist, etwa einen CO2-Fußabdruck zu berechnen, als die Wirksamkeit bestimmter Maßnahmen rund um Diversity, Equity, Inclusion & Belonging (DEIB). Um das Potenzial von Vielfalt in Wirkung bringen zu können und um tatsächlich Zugehörigkeit für möglichst alle System-Teilnehmer*innen sicherzustellen, müssen wir einerseits die Wirksamkeit solcher Maßnahmen nachvollziehen können, andererseits brauchen wir ein holistisches Bild von Organisationen, damit wir die komplexen Wechselwirkungen unserer System-Interventionen analysieren und beobachten können. 

Dabei ist es wichtig, dass wir eben diese Komplexität der Aufgabe anerkennen, damit am Ende eben nicht lediglich die prozentualen Anteile von Frauen in Führungspositionen als Outcome und somit alleiniges Messkriterium übrig bleiben. Es ist entscheidend, dass wir uns auch bei der Entwicklung von Metriken und Taxonomien der systemischen und intersektionalen Zusammenhänge bewusst sind, und dass wir uns die entsprechenden Verknüpfungen und Wechselwirkungen vor Augen führen. Auf diese Weise entwickeln wir ein Urteilsvermögen, mit dem wir die Bedeutung erhobener (qualitativer wie quantitativer) Daten besser einschätzen können, und das uns Indizien in Richtung sinnvoller Maßnahmen an die Hand geben kann.

Spätestens jetzt wird auch deutlich, dass etwa eine Frauenquote auf Geschäftsführungs-Ebene allein nicht die Lösung einer kulturellen Herausforderung sein kann, sondern allenfalls die Folge positiver Veränderungen in allen Dimensionen der Organisation. In jedem Fall ist es unerlässlich, dass wir die Zusammenhänge zwischen Ursachen und Symptomen re-evaluieren.

Simulation von Kultur

Doch die Realität stellt sich anders dar. Unternehmen verharren im Klein-Klein. Organisationen investieren Zeit, Geld und Energie in eine lediglich positiv anmutende Kultur-Simulation. Was die vermeintliche Authentizität einer Employer Brand widerspiegeln soll, ist die immer gleiche Beschwörung eines organisationskulturellen Fakes. Kultur als Stockphoto, wenn man so will. Und man will. Denn die Inszenierung inklusiver Unternehmenskulturen dient der Beibehaltung des Status Quo.

Es ist ein gefährliches So-tun-als-ob, bei dem sich die Zutaten auf eine Weise gleichen, dass tatsächliche Wirkung nicht nur nicht erzielt, sondern häufig regelrecht verhindert wird. Diese Vorgehensweise wird so gut wie nie hinterfragt. Dadurch wird sie zum Selbstzweck, der durch die immerwährende Perpetuierung legitimiert wird.

Auf diese Weise können sich weite Teile der Organisation weiterhin ganz legitim an den Nebenwidersprüchen, wie etwa der Unvereinbarkeit von Care- und Erwerbsarbeit, abarbeiten, während die Linearität des Geschäftsmodells und dessen Dogmen (wie etwa Dauerverfügbarkeit oder das Vollzeit-Paradigma) unangetastet bleiben. In einem Artikel der Harvard Business Review wird z. B auf die notwendige Dekonstruktion des „work/family narrative“ hingewiesen. Fehlende Vereinbarkeit sei nur eine Folge des Hauptwiderspruchs („core problem“), werde aber als Nebenwiderspruch („substitute problem“) von weiten Teilen der Organisation in seiner Unlösbarkeit weiterbearbeitet. Mit dem Ergebnis, dass alles so bleibt, wie es ist.

„By presenting work/family accommodations as the solution to the substitute problem, the firm added to an invisible and self-reinforcing social-defense system—one that cloaked inefficient work practices in the rhetoric of necessity while perpetuating gender disparities. This move gave firm leaders an unresolvable and therefore always available problem to worry about, which in turn allowed everybody to avoid confronting the core problem. As a result, two strongly held ideologies supporting the status quo remained in place: Long work hours are necessary, and women’s stalled advancement is inevitable.“

Quelle: Harvard Business Review

Maßnahmenfixierung

So lange isolierte Maßnahmen für vermeintliche Probleme (z. B. „Nicht genug Frauen in Führungspositionen“) entwickelt und eingeführt werden, ohne die eigentlichen – vielschichtigen – Ursachen (z. B. Hyperinklusion) zu durchdringen, so lange kann es keinen wirklichen Impact geben. Im Sinne der Wirkungsforschung liegt der Schwerpunkt der derzeitigen Aktivitäten noch sehr stark auf Output. Doch die Probleme werden drängender.

Ich nehme aus den Organisationen, mit denen ich zusammenarbeite, verstärkt den Wunsch wahr, dass man endlich „ins Tun kommen“ wolle. Und so sehr ich diesen Wunsch nachvollziehen kann, so kontraproduktiv kann es mitunter sein, wenn man sich zu schnell auf Maßnahmenbündel kapriziert. Denn vor allem diejenigen Gruppen, für die diese Maßnahmen im Sinne größerer Teilhabe intendiert sind, entlarven undurchdachte Konzepte und organisationalen Aktionismus sehr schnell. Dann entsteht möglicherweise noch erheblich größerer Schaden, weil die Culture Gap, also die Diskrepanz zwischen vorgegebener und tatsächlich gelebter Kultur, immer größer zu werden droht.

Zumal nach wie vor nicht ausreichend verstanden wird, dass „Inclusion“ nur durch die intensive Analyse von und die Beschäftigung mit den Mechanismen von „Exclusion“ zu erreichen sein wird. Wer nicht bereit dazu ist, sich innerhalb der eigenen Organisation mit Strukturen und Mechanismen von Marginalisierung und Diskriminierung zu beschäftigen, wird es nicht schaffen, deren Ursachen zu beseitigen. Insofern ist es auch müßig, lediglich Frauen in Führungspositionen zu befördern, wenn nicht gleichzeitig die Bedingungen dafür geschaffen werden, dass die Beförderte ihren Job auch optimal erledigen kann. Letzteres ist harte Arbeit; und bedarf einer Konsequenz, die viele noch scheuen. Repräsentation ist eben nicht gleichbedeutend mit Partizipation.

Nachhaltigkeit ist kein Business Case

(Foto von StellrWeb bei Unsplash)

„To free ourselves, we must question each and every system we are in – even those we cannot divorce ourselves from yet.“

Ijeoma Oluo

Viele Unternehmen sind nach wie vor der Ansicht, dass sie ihre Zukunftsfähigkeit durch ein rein reaktives Vorgehen entlang einer eher unterambitionierten Nachhaltigkeits-Agenda sichern können. Ein paar Buzzwords hier, ein bisschen Benchmarking dort – viel mehr passiert in der Regel nicht. Dabei wäre es höchste Zeit für fundamentale Richtungswechsel entlang klar definierter Herausforderungen und Zielambitionen. Denn ohne die proaktive, ja: progressive Arbeit an neuen Paradigmen ökonomischen Handelns und ohne die sukzessive Veränderung der derzeitigen systemischen Rahmenbedingungen droht vielen Organisationen ein Negativ-Szenario. Ein Problem dabei: der so genannte Business Case.

Problem: Business Case

Wie aus der folgenden (vereinfachten) schematischen Betrachtung ersichtlich wird, kann die Schnittmenge eines nachhaltigen ökonomischen Handelns nicht allein dadurch vergrößert werden, dass lediglich immer mehr Anforderungen seitens der Nachhaltigkeit Eingang in den Akzeptanzraum ökonomischen Denkens und Handelns finden – etwa durch Regulierung oder veränderte Kund*innen-Erwartungen. Vielmehr muss die Bewegung von Seiten der Ökonomie selbst ausgehen. Die Wirtschaft muss sich mit hoher Geschwindigkeit und konsequenter Ambition auf die Nachhaltigkeits-Agenda zubewegen – und zwar zunächst einmal ohne den reinen Fokus auf Umsatz und Ertrag im Status Quo.

(eigene Darstellung; Quellen: Freimann 1996, Beschorner 2004)

Im Eingangs-Zitat von Ijeoma Oluo deutet sich ein Ausweg aus der linearen, Output- und Shareholder*innen-orientierten Vorgehensweise an, die derzeit noch das so gefährliche“ Weiter so“ mündet. Wir müssen uns also von Systemen befreien, die uns heute noch fest im Griff haben, deren Weiterbestehen jedoch im wahrsten Sinne des Wortes fatal wäre.

Was sich aktuell noch nach einer Utopie anhört, wird angesichts der eskalierenden globalen Krisen schon bald zur neuen Handlungsmaxime werden. Und genau darauf müssen Unternehmen schon heute vorbereitet sein. Dazu gehört auch, dass die Ursachen und Symptome exklusiver Organisationskulturen genau erforscht werden, damit wirksame Gegenmaßnahmen passgenau für die unterschiedlichen Kontexte entwickelt werden können.

Es haben sich jedoch jene Glaubenssätze verfestigt, nach denen nachhaltiges unternehmerisches Handeln nur dann angezeigt sei, wenn es sich rechnet, sprich: wenn irgend jemand – zum Beispiel die Kund*innen – dafür bezahlt. Oder aber, wenn Kosten eingespart werden, etwa bei nachhaltiger Produktion von Gütern. In einem solchen Fall ist dann ein so genannter “Business Case“ ausnahmsweise einmal Konsens.

Die Größe der Schnittmenge zwischen Ökonomie und Nachhaltigkeit (vgl. Schaubild) wird also vor allem dadurch bestimmt, wie viel Nutzen ein Unternehmen aus nachhaltigem Handeln ziehen kann. Wirklich verantwortungsvoll ist das nur im althergebrachten Modus linearen Wachstums. Progressiv ist es nicht. Und mit Blick auf zur Neige gehende Ressourcen, weiterhin steigenden CO2-Ausstoß sowie negative Bilanzen sozialer Nachhaltigkeits-Aspekte (wie z. B. Inclusion) wird klar: Das reicht bei weitem nicht aus.

(Sehr sehenswert ist in diesem Zusammenhang die Keynote von Dr. Thomas Beschorner im Rahmen der Jahrestagung des UPJ-Netzwerks, in der er auf das Schnittmengen-Modell und die Zusammenhänge eingeht.)

Eskalation als Chance?

Wir erleben eine, für die meisten lebenden Generationen einzigartige, Häufung von Krisen. Krieg, Pandemie und Klimakrise sind Eskalationen, die sich ex post betrachtet zwar angekündigt hatten, in ihren Auswirkungen jedoch für sehr viele Menschen unerwartet heftig spürbar sind. Natürlich muss man hier differenzieren, denn einmal mehr sind diese Auswirkungen global sehr ungleich verteilt. Die Tatsache, dass die Vehemenz der Auswirkungen und die globale Ungleichheit nun erstmals so deutlich werden, erzeugt einen zunehmenden Druck auf die Nachhaltigkeits-Agendas. Bzw. eben große Unsicherheiten bei denjenigen, die sich bisher wenig bis gar nicht bzw. ausschließlich reaktiv – etwa im Zuge einer Berichtspflicht – mit den Herausforderungen befasst hatten.

Unternehmen realisieren zunehmend, dass ihr Verantwortungsbereich erheblich größer werden muss als dies bisher der Fall war. Statt sich jedoch unmittelbar mit den Ursachen und den eigenen Einflussbereichen und Verantwortlichkeiten im Zusammenhang mit diesen Ursachen zu beschäftigen, verfallen viele Unternehmen und Industrien in einen ebenso kurzsichtigen wie gefährlichen Modus des Aktionismus. Bei den Nachhaltigkeits-Bestrebungen eines Großteils der Unternehmen haben sich Nebenschauplätze herausgebildet, auf denen sehr schnell auf Maßnahmenebene agiert wird. Es werden Rituale etabliert, die den Eindruck erwecken sollen, man nehme sich der Herausforderungen an und arbeite an konkreten Lösungen. Diversity & Inclusion ist ein Beispiel für einen solchen Nebenschauplatz.

Ursachen und Wirkungen

Bei der Analyse von Zugängen zu unseren organisationalen Systemen hat sich zum Beispiel herausgestellt, dass es nicht nur asymmetrische Geschlechter-Verhältnisse in den Führungsebenen der meisten Unternehmen gibt, sondern dass auch andere soziale Gruppen in Führungspositionen unterrepräsentiert sind. Statt sich jedoch akribisch auf die Suche nach den Ursachen dafür zu machen und in der Folge auf deren Beseitigung hinzuarbeiten, würden viele Unternehmen diesen Schritt gerne überspringen und unmittelbar Maßnahmen auf den Weg bringen, die die vermeintlich rein quantitative Herausforderung lösen. Quoten sind ein Beispiel für eine solche (isolierte) Intervention. Eine solche Vorgehensweise als „Greenwashing“ oder „Pinkwashing“ zu bezeichnen, greift inzwischen zu kurz, wenngleich die Mechanismen damit durchaus benannt werden. In dem genannten Beispiel wird die Annahme zugrunde gelegt, dass es einen Business Case für mehr Vielfalt gebe, wonach etwa eine höhere Anzahl von Frauen in Führungspositionen einen positiven Effekt auf die finanzielle Performance des Unternehmens habe. Für einen solchen Kausalzusammenhang gibt es wenig bis keine empirische Evidenz – wohl aber eine Korrelation. Und daraus ist die Vermutung abzuleiten, dass mehr Frauen in Führungspositionen (wie auch mehr Menschen mit Behinderung, mehr PoC uvm.) eher das Resultat tiefgreifender transformationaler Prozesse sind als unmittelbares Ergebnis von Maßnahmen entlang bestimmter Quoten.

Und dennoch werden weiterhin Handlungsmaximen legitimiert, nach denen Interventions-Notwendigkeiten nahezu ausschließlich an deren Auswirkung auf die ökonomische Wachstumslogik in Bezug auf Umsatz und Ertrag beurteilt werden. Doch ein solcher Business Case ist nicht ungefährlich.

New research reveals that linking diversity to corporate profits may be a turnoff for the underrepresented individuals the organizations are trying to attract. In fact, the use of the business case to justify diversity can result in underrepresented groups anticipating less belonging to organizations, which, in turn, makes them ultimately less likely to want to join the organization.

(Quelle: Forbes.com)

Wir benötigen also eine andere Motivationslogik bei der Arbeit an Inclusion und Belonging. Doch selbst Nachhaltigkeit als größerer Kontext dürfte dafür eine unzureichende Perspektive sein.

(Dazu bald mehr in Teil zwei dieses Artikels: „Diversity & Inclusion: Schluss mit dem So-tun-als-ob!“.)

Fünf Perspektivenwechsel für die Debatte rund um Vielfalt und Chancengerechtigkeit

Wer sich in den (sozialen) Medien umschaut oder die Selbstdarstellung von Unternehmen verfolgt, könnte den Eindruck gewinnen, dass Wirtschaft und Gesellschaft der Unterschiedlichkeit von Menschen plötzlich größere Wertschätzung entgegenbringen. Doch unsere Systeme – zum Beispiel in Bezug auf die Art und Weise der Zusammenarbeit – richten wir noch keineswegs konsequent auf Vielfalt aus. Für viele Menschen gibt es immer noch Hindernisse oder den Zwang zur Anpassung.

Foto von Yosep Surahman bei unsplash.com

D&I nimmt Fahrt auf

Der hohe Handlungsdruck und Beratungsbedarf rund um Diversity & Inclusion (D&I) entsteht vor allem durch höhere mediale Aufmerksamkeit und sich verändernde Rahmenbedingungen. Diejenigen, die sich schon länger mit dem D&I-Diskurs beschäftigen, haben längst verstanden, dass eine inklusive Organisationskultur der bedeutendste Differenzierungsfaktor gegenüber dem Wettbewerb ist. Und dass das überzitierte „culture eats strategy for breakfast“ ein Vorgriff auf das ist, was da noch recht vehement kommen wird: Die disruptiven Faktoren der nächsten Jahrzehnte stehen in engem Zusammenhang mit der Bindungskraft von Unternehmenskulturen. Wer bei den Themen Transformation, Fachkräftemangel oder Innovation nicht abgehängt werden will, muss sich intensiv mit wirksamen Interventionen in der eigenen Kultur und mit den zum Teil komplexen Konzepten von Diversity & Inclusion befassen.

Dies ist bislang nicht in ausreichendem Maße geschehen. Lange dachte man, es sei ausreichend, einzelne Maßnahmen zu ergreifen und diese in messbare Metriken zu übersetzen. Auf diese Weise entstand eine extrinsisch getriebene Logik rund um D&I, die den quantitativen Blick auf Repräsentation in der Führungspipeline richtete. Vergessen wurde dabei die qualitative Perspektive mit einem Fokus auf echter Partizipation. Doch an vielen Stellen wird nun die weitgehende Wirkungslosigkeit dieser Prozesse rund um D&I sichtbar.

Wer bei den Themen Transformation, Fachkräftemangel oder Innovation nicht abgehängt werden will, muss sich intensiv mit wirksamen Interventionen in der eigenen Kultur und mit den zum Teil komplexen Konzepten von Diversity & Inclusion befassen.

Ein weiteres Momentum für Bemühungen um D&I entsteht aus Richtung einer zunehmenden Regulierung. Die Politik nimmt Ambitionslevel à la „Zielgröße Null“ in Bezug auf asymmetrische Geschlechterverhältnisse in hohen Führungsebenen von Organisationen nicht einfach mehr nur hin – sie handelt. Und sie macht verbindliche Vorgaben in Form von Quoten. Gleichzeitig entsteht eine Art Grassroots-Bewegung, die in den USA bereits einen eindrucksvollen Namen bekommen hat: the Great Resignation. Die Doppelbedeutung von resignation = Resignation und von to resign = kündigen ist hier übrigens intendiert. Die Lust auf Karriere scheint in den jüngeren Zielgruppen der Arbeitgeber:innen geringer ausgeprägt zu sein als je zuvor – viele kehren ihren den Rücken. Eine neue Generation scheint an das Bartleby-Prinzip „I would prefer not to!“ zu erinnern.

Was wäre, wenn wir umdächten?

Wenn nun dennoch insbesondere den Frauen weiterhin zugerufen wird, sie mögen sich nur ordentlich anstrengen und sich nach der viel zitierten gläsernen Decke strecken, zielt das an der aktuellen Situation vorbei. Hypothese Nummer eins hinterfragt deshalb genau diese Grundannahme:

Was, wenn es angesichts eines sinkenden Frauenanteils auf höheren Karrierestufen – Stichwort Leaky Pipeline – gar kein „Lean in!“ braucht, sondern die Unterstützung von immer mehr Menschen in Entscheidungspositionen, die sich der bisherigen Systemlogik verweigern?

Erfahrungen im System

Auf diese Weise könnte die Verweigerungshaltung nachfolgender Generationen, die sich aktuell auf dem Arbeitsmarkt zeigt, von einem Problem zu einem Lösungsansatz werden. Denn vielleicht ist es gar nicht nur passiv oder gar destruktiv, wenn man sich bestimmten Vereinnahmungen verweigert. Eine kritische Masse, die bestimmte Dinge nicht mehr mitmacht, kann wichtige Entwicklungen durchaus beschleunigen. Doch es braucht auch die Arrivierten, die realisieren, dass viele der aktuellen Rahmenbedingungen einem gesunden und nachhaltigen Erwerbskarrieren-Entwurf entgegenstehen. Denn sie besitzen auch die nötige Macht und den nötigen Einfluss, das System durch aktive Entscheidungen zu verändern, anstatt „nur“ passiv Widerstand zu leisten.

In der Debatte um die Zukunft der Arbeit ist außerdem die Thematisierung männlicher Systemerfahrungen wesentlich. Wenn es gelingt, Männern vor Augen zu führen, wie sehr sie selbst unter einem patriarchalen System leiden, dann könnten sie verstärkt zu Akteuren des Wandels werden. Die Regeln der Arbeitswelt bringen ihnen zwar scheinbar viele Vorteile. Sie erfordern jedoch einen Grad der Anpassung, der Konsequenzen hat – zum Beispiel in Bezug auf die Verantwortung für einen Großteil der Erwerbsarbeit, die mangelnde eigene Gesundheitsvorsorge oder wenig Flexibilität hinsichtlich der aktiven Kinderbetreuung.

Wenn es gelingt, Männern vor Augen zu führen, wie sehr sie selbst unter einem patriarchalen System leiden, dann könnten sie verstärkt zu Akteuren des Wandels werden.

In diesem Zusammenhang darf der Diskurs jedoch nicht beim eigenen Nutzen innehalten, sondern sollte das große Ganze im Blick haben. Der sogenannte Fachkräftemangel deutet sich jedenfalls allerorten an, in vielen Branchen ist er längst bittere Realität. Dennoch bleiben bestimmte soziale Gruppen nach wie vor außen vor, wenn es um Chancen und Führungspositionen in Unternehmen geht. Das hat mit dem exklusiven Spiel der homogenen In-Groups zu tun: Wer in einer leitenden Position ist, neigt dazu, Menschen mit ähnlichen Merkmalen in die höheren Verantwortungspositionen aufzunehmen. Allen voran grenzt dieses Spiel die Frauen aus. Von ihnen heißt es nicht selten, sie würden ja gar nicht wollen, wenn sie Angebote für Führungsjobs häufiger mal abwinken. Dies tun sie eben nicht, weil sie nicht wollen, sondern weil sie ganz genau wissen, was man ihnen vermeintlich anbietet, aber eigentlich zumutet. Hypothese Nummer zwei lautet daher:

Was, wenn das Nicht-Wahrnehmen von Karriereoptionen nicht auf mangelnde Ambition, sondern auf exakte Kenntnis der systemischen Rahmenbedingungen zurückzuführen ist?

Die Care-Debatte als Schlüssel

Der durchschnittliche Gender Care Gap beträgt laut dem zweiten Gleichstellungsbericht des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend in Deutschland 52,4 Prozent. Das bedeutet, dass jede Frau im Durchschnitt pro Tag etwa eineinhalb Stunden mehr Care-Arbeit leistet als jeder Mann. Bei Frauen Mitte 30, und wenn mindestens ein Kind im Haushalt lebt, liegt die Gender Care Gap sogar deutlich über 100 Prozent. Diese Grundbelastung drückt sich in der sogenannten Mental Load aus. Beinahe jede Frau und vor allem jede Mutter muss in dem Moment, in dem ihr eine Führungsposition angeboten wird, also abwägen: Was kann ich mir zumuten? Wie viel Energie steht mir noch zur Verfügung und welche Mehrbelastung muss ich erwarten, wenn ich zusage?

Wenn Arbeitgeber:innen meinen, sie könnten diese mentale Belastung zur Privatsache erklären, hat nicht verstanden, wie ignorant das ist. Denn Frauen treffen aufgeklärte Entscheidungen, wenn sie zu dem Ergebnis kommen, das eben nicht leisten zu können oder zu wollen. Die Unternehmen sind hier in der Pflicht. Sie müssen sich fragen, wozu potenzielle Führungskräfte „Ja“ sagen wollen. Denn Frauen wollen. Es wird ihnen nur allzu häufig dadurch erschwert oder unmöglich gemacht, dass man ihre überdurchschnittliche Grundlast ignoriert und Führungsjobs stumpf so belässt, wie sie immer waren und wie sie von den Männern immer noch einigermaßen klaglos ausgefüllt werden – etwa mit einem Fokus auf Durchsetzungsfähigkeit und Dauerverfügbarkeit.

Stattdessen blicken wir undifferenziert auf die sogenannte Pipeline und stellen fest: Da fehlen die Frauen. Und die People of Color. Und die Menschen mit Behinderung. Und die Neurodiversen. Und viele andere mehr. Doch birgt die Schlussfolgerung, dass die Mitglieder zahlreicher sozialer Gruppen dort nicht vertreten sind, die nächste Gefahr, die wiederum in Hypothese Nummer drei steckt.

Was, wenn Frauen in Führungspositionen gar nicht unterrepräsentiert sind, sondern strukturell ausgeschlossen werden?

Sind Frauen strukturell ausgeschlossen?

Wenn wir uns auf diesen Perspektivwechsel einlassen, ist es keineswegs eine Lösung, einfach mehr Frauen (und andere) in Führungspositionen zu befördern. Wir lösen dadurch nämlich lediglich eines der Probleme, nämlich das der vermeintlichen Nicht-Repräsentation. Keineswegs jedoch ermöglichen wir durch bloße Beförderungen auch automatisch Partizipation. Ein Unternehmen kann nämlich durchaus divers sein und gleichzeitig nicht inklusiv. Daher greift die Forderung nach mehr Frauen in Führungspositionen ganz generell zu kurz. Bevor „Inclusion“ in Organisationen überhaupt erfolgversprechend hergestellt werden kann, braucht es einen breiten Diskurs über „Exclusion“. Wir müssen verstehen, auf welche Weise wir dazu beitragen, dass Menschen von Marginalisierung und/oder Diskriminierung betroffen sind und wo unsere Systeme Menschen strukturell ausschließen.

Bevor „Inclusion“ in Organisationen überhaupt erfolgversprechend hergestellt werden kann, braucht es einen breiten Diskurs über „Exclusion“.

Unser individueller Beitrag zu exklusiven Strukturen ist meist kein bewusst intendierter, sondern ist in den verhaltensökonomischen Konzepten rund um „Unconscious Bias“ zu finden. Wir denken und handeln größtenteils unbewusst und automatisch. Diese Abkürzungen sind in unseren Gehirnen fest verschaltet. Das lässt sich nicht einfach umgehen oder verhindern. Lediglich die Auswirkungen können wir erkennen und abmildern. Und das ist mitunter ausgesprochen aufwändig und zumeist anstrengend.

Chance auf systemische Lernerfahrungen

Wenn wir jedoch anerkennen, dass menschliches Verhalten keineswegs so rational ist, wie wir uns das manchmal selbst glauben machen, dann besteht eine Chance auf systemische Lernerfahrungen. Wir wenden uns dann den Rahmenbedingungen zu, die nötig sind, damit Strukturen sich sukzessive verändern und etwa die Frauen in Führung auch ein Umfeld vorfinden, das sie nicht zur Anpassung zwingt. Denn die Vorstellung, alle hätten die gleichen Chancen, ist ebenso naiv wie gefährlich. Hypothese vier verdeutlicht dies:

Was, wenn es am Ende gar nicht nach Leistung geht, sondern wenn das Meritokratie-Versprechen nur dem Machterhalt der Privilegierten dient? 

„In meinem Team schaue ich nur auf Leistung. Ich sehe gar kein Geschlecht und auch keine Hautfarbe.“ So oder so ähnlich klingen viele Beschreibungen vorwiegend männlicher, weißer Führungskräfte. Dabei ist die Intention in den meisten Fällen tatsächlich, für Chancengerechtigkeit zu sorgen. Doch das fehlende Bewusstsein über eigene Vorurteile, Privilegiertheit und deren Konsequenzen führen dazu, dass sie nicht am „De-Biasing“ von Strukturen und individuellem Verhalten arbeiten können. Der Status quo bleibt erhalten, weil sie selbst ein Teil des Problems sind.

Das fehlende Bewusstsein eigener Vorurteile, Privilegiertheit und deren Konsequenzen führen dazu, dass viele Führungskräfte nicht am „De-Biasing“ von Strukturen und individuellem Verhalten arbeiten können.

Gleichzeitig wird dem Großteil der Arbeitnehmer:innen auf diese Weise weiterhin suggeriert, dass sie alles erreichen könnten, wenn sie nur wollten. Es handelt sich hierbei geradezu um systematisches „Gaslighting“: Der psychologische Fachbegriff umschreibt Bemühungen, die Wahrnehmung der Realität zu manipulieren. In diesem Fall führt dies in die Selbstausbeutung, während das System selbst unangetastet bleibt und dringend nötige Veränderungen ausbleiben. Wenn wir nicht lernen, dass Biases unsere Entscheidungen beeinflussen und auf welche Weise sie das tun, dann verpassen wir die Chance zu echter Systemveränderung.

Vollzeitarbeit als Elefant im Raum

Die fünfte Hypothese schließlich benennt den eigentlichen Elefanten im Raum: die implizite Anforderung, sich im Verlauf einer Erwerbskarriere stets in sogenannter Vollzeit zur Verfügung zu stellen:

Was, wenn Dauerverfügbarkeit gar kein Karriere-Asset ist, sondern ein toxisches Element exklusiver Organisationskulturen, das zur Selbstselektion von Menschen mit Care-Verantwortung führt?

Wer sich der eigenen mentalen Belastung bewusst ist, mehr als fünf Stunden Schlaf pro Nacht benötigt oder mit Einschränkungen unterschiedlicher Art zu kämpfen hat, die oder der wird sich einer geforderten Dauerverfügbarkeit bereits pro-aktiv entziehen. Und zwar, weil sie oder er muss. Es handelt sich um einen regelrechten Überlebensimpuls. Und solange unsere Systeme das stillschweigend hinnehmen und die Schuld dafür stets beim Individuum sehen, das „Nein“ sagt, solange ist eine Beschwerde etwa über den Fachkräftemangel beinahe zynisch. Vereinbarkeit ist keine Phrase, sondern der entscheidende Hebel für ein gelungenes Miteinander zwischen Arbeitgeber:innen und Arbeitnehmer:innen. Deshalb dürfen die Bemühungen auch nicht bei den üblichen zwei, drei Goodies oder bei der Erfüllung gesetzlich vorgegebener Anforderungen enden. Echte Vereinbarkeit ist ein wesentlicher Bestandteil inklusiver Organisationskulturen. Dabei sollte es zunächst keine Denkverbote geben. Unternehmen sollten den Versuch unternehmen, es wirklich und wahrhaftig hinbekommen zu wollen.

Was also, wenn wir uns auf die genannten Perspektivwechsel einließen und die vermeintlichen Unvereinbarkeiten zwischen Care- und Erwerbsarbeit endlich gemeinsam aufzulösen beginnen? Ich bin überzeugt davon, dass wir damit richtig lägen.

Dieser Beitrag erschien zunächst im November 2021 bei HAUFE New Management.

Desidentifikation in der Organisationsentwicklung

Vor kurzem hatte ich die Gelegenheit, am Feministischen Salon der Frauenberatungsstelle Köln-Friesenplatz* im Bürgerzentrum Ehrenfeld in Köln teilzunehmen. Neben mir gab auch Prof. Dr. Susanne Völker, Professorin für Genderforschung und Soziologie, wissenschaftliche Leiterin der Einrichtung GeStiK – Gender Studies in Köln und des Masters Gender & Queer Studies an der Universität und der TH Köln, einen Impuls. Gemeinsam diskutierten wir anschließend mit den zahlreichen Gäst:innen, u. a. über Fragen von Männlichkeiten und Feminismus.

Viel zu selten schaffe ich es zu solchen Veranstaltungen. Aber jedes Mal lerne ich neue Perspektiven und Zusammenhänge kennen. Insbesondere die Erkenntnisse der Gender Studies helfen mir, neue Ansätze für meine Arbeit in der Beratung von Organisationen zu bekommen. Frau Prof. Dr. Völker sprach im Zusammenhang mit Geschlechteridentitäten von der Notwendigkeit der Desidentifikation. Sie wies darauf hin, dass wir uns Zuordnungen zu bestimmten Kategorien verweigern müssten, damit u. a. das Verlernen schädlicher Geschlechternormen eine weitgehende Transformation unserer Systeme ermöglichen kann.  Prof. Völker bezieht sich in diesem Zusammenhang auch auf Judith Butler:

„Obwohl die politischen Diskurse, die die Identitätskategorien mobilisieren, dazu neigen, Identifikationen zugunsten eines politischen Ziels zu kultivieren, könnte es sein, dass die Nachhaltigkeit von Desidentifizierung für die Neuartikulierung der demokratischen Auseinandersetzung von ebenso entscheidender Bedeutung ist.“

(Butler, Judith (1995): Körper von Gewicht. Die diskursiven Grenzen des Geschlechts. Berlin: Berlin-Verlag. S. 24. U. a. auch hier auf S. 16 zitiert.)

Ich ziehe daraus u. a. den Schluss, dass es ggf. müßig ist, bestimmte Konstruktionen von Männlichkeit transformieren zu wollen. Zum einen hätte das u. U. zur Folge, dass eine bestimmte Form vermeintlich neuer Männlichkeit selbst normativ wird (etwa Caring Masculinities). Zum anderen geht es vielleicht tatsächlich in erster Linie darum, sich bestimmten Kategorisierungen zu verweigern (Desidentifikation), um dadurch die Voraussetzung zu schaffen, Verhaltens- und Denkweisen, die als „männlich“ gelten, zu verlernen (Unlearning) und damit zu überwinden.

Im Gespräch mit Prof. Völker erhielt ich von ihr den Hinweis, dass Männer als „Akteure der Nicht-Männlichkeit“ am Feminismus beteiligt sein können. Es komme jedoch nicht auf sie, die Männer, an, wie Prof. Völker weiter ausführte:

[E]s geht eher um unwichtig werden. Sie sind die, die zuhören, sich selbst verändern und Positionen (Privilegien) räumen, die sich vom System „Männlicher Herrschaft“ [im Bourdieu’schen Sinne] entkoppeln müssen. Es geht darum, Männlichkeit als Privileg und Zentrierung zu verlernen.“

Übertragen auf den organisationalen Kontext bedeutet das für mich, dass die Bemühungen um die Abschaffung asymmetrischer Geschlechterverhältnisse nicht nur nicht weit genug gehen, sondern z. T. auch ganz falsche Grundannahmen und damit Wirkrichtungen haben. So falsch es ist, einfach nur weiße cishet-Männer durch weiße cishet-Frauen in den Führungspositionen zu ersetzen oder zu ergänzen, so wenig zielführend ist der Versuch, Führung als Prinzip durch neue männliche oder weibliche Stile und Attribute aufzuladen. Statt dessen bräuchte es auch hier eine Desidentifikation: Führungskräfte müssen sich den normativen Kategorisierungsversuchen verweigern, um mittelfristig überhaupt Zugang zu neuen Repertoires an Denk- und Verhaltensweisen zu erlangen. Wie so etwas gelingen könnte, und in welche Narrative solche Vorgänge eingebettet werden können, wird mich künftig mit Sicherheit sehr beschäftigen.

Wenn ich heute über Männlichkeit im Zusammenhang mit Organisationsentwicklung (aber auch in anderen Umfeldern) spreche, dann zumeist in Verbindung mit bestimmten Rollen: Führung, Partnerschaft, Vaterrolle etc. Prof. Völker stellt eine ganz grundsätzliche Frage: „Ist Männlichkeit eine positive Kategorie?“ So sehr ich die potenziellen Reaktanzen auf eine solche Fragestellung antizipiere, so reizvoll finde ich einen solchen Diskursansatz. Denn er schafft Distanz zu all den Zuschreibungen rund um Männlichkeit, Leadership und Hierarchie. Und diese Distanz könnte endlich den Blick auf wesentliche systemische Zusammenhänge richten helfen, vor deren Hintergrund eine Neukonstruktion von Männlichkeiten jenseits aller Hegemonialität erst möglich wird.

*Danke an Gesine, Chiara und Gaby für die Organisation des Feministischen Salons und für die Einladung zum Austausch. Das Frauenberatungszentrum Köln-Friesenplatz freut sich immer über eine Unterstützung der wichtigen Arbeit in Form einer Spende.

Was, wenn…?!

Bild von 胡 卓亨 bei unsplash.com

Was, wenn Frauen in Führungspositionen gar nicht unterrepräsentiert sind, sondern strukturell ausgeschlossen werden?

Was, wenn es „Maternal Gatekeeping“ gar nicht gibt, sondern Männer ihren Anteil an Care-Arbeit schlicht flächendeckend verweigern?

Was, wenn das Nicht-Nutzen von Karriereoptionen nicht auf mangelnde Ambition, sondern auf genaue Kenntnis der systemischen Rahmenbedingungen zurückzuführen ist?

Was, wenn die Deutungshoheit über Diversity & Inclusion nicht bei den Organisationen, sondern bei denjenigen liegt, die heute noch marginalisiert und/oder diskriminiert werden?

Was, wenn „Frauen können alles schaffen, sie müssen nur wollen“ kein bisschen mit Empowerment zu tun hat, sondern schlicht system(at)isches Gaslighting ist?

Was, wenn Dauerverfügbarkeit gar kein Karriere-Asset ist, sondern ein toxisches Element exklusiver Organisationskulturen, das zur Selbstselektion von Menschen mit Care-Verantwortung führt?

Was, wenn es am Ende gar nicht nach Leistung geht, sondern wenn das Meritokratie-Versprechen nur ein Ausdruck von „Paternal Gatekeeping“ ist?

Was, wenn die Leaky Pipeline gar kein „Lean in!“ braucht, sondern die Unterstützung von immer mehr Menschen in Entscheidungspositionen, die das exklusive Spiel der homogenen In-groups zunehmend selbst verweigern?

Was, wenn es gar nichts bringt, ältere weiße cishet-Männer durch ältere weiße cishet-Frauen zu ersetzen, sondern wir unsere Systeme ganz grundsätzlich transformieren müssen?

Was, wenn es gar nicht um Männer und Frauen oder gar Männer gegen Frauen, sondern um einen gemeinsamen Gegner geht – zum Beispiel das Patriarchat?

Was, wenn Diversity & Inclusion gar nicht „bunt“ und leicht verdaulich sind, sondern es darauf ankommt, Monokulturen & Exclusion klar zu benennen, um endlich Bewegung bei den privilegierten Mitgliedern verschiedener In-Groups zu erzeugen?

… to be continued…