Die zwei Teufelskreise der Frauenförderung

mehdi-genest-389390-unsplash

Foto: unsplash.com

„Um ein tadelloses Mitglied einer Schafherde sein zu können, muss man vor allem eines sein: ein Schaf.“ (Albert Einstein)

Vor einiger Zeit schrieb ich, dass wir das Thema „Frauenförderung“ besser ganz bleiben lassen sollten. Das war natürlich ironisch und überspitzt formuliert. Was ich damit sagen wollte (und will): Es bringt nicht nur nichts Frauen* einem i. d. R. auf männliches Vorankommen zugeschnittenen System anzupassen. Eine solche Vorgehensweise ist sogar doppelt kontraproduktiv.

Wir stehen vor z. T. riesigen Herausforderungen in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Diese können wir aus meiner Sicht nur mittels kognitiver Vielfalt und im Schulterschluss aller Menschen und Geschlechter bewältigen. Wem dies zu sehr nach sozialromantischer Utopie klingt, für die oder den will ich gerne einen Blick auf die aktuell vorherrschende Praxis werfen.

In der überwiegenden Mehrheit unserer Organisationen herrscht signifikant hoher Anpassungsdruck an ein normatives Umfeld. Dieses Umfeld wird nicht selten als Meritokratie bezeichnet, etwa in der Quotendiskussion: Wir wollen die Besten, nicht die Weiblichsten, heißt es da gerne einmal.

Was nach Gerechtigkeit klingt, ist jedoch ein gewaltiger Trugschluss, denn aufgrund von Rahmenbedingungen, Historie und vorherrschender Mechanismen sind diese Umfelder vornehmlich patriarchal geprägte Systeme. Und diese sind keineswegs auf das Vorankommen der Besten ausgelegt – wie es ja eine Meritokratie versprechen würde -, sondern bevorzugen bestimmte Gruppen und Individuen.

Von Normen und Männern

Sehr viele Unternehmen und Organisationen sind in erster Linie auf das Vorankommen von Männern* ausgerichtet. Entsprechende Hierarchien und Organisationskulturen sorgen dafür, dass das auch so bleibt. Da ist der Ruf nach Frauenförderung im Sinne reiner Systemanpassung der denkbar schlechteste Ansatz.

Denn wenn Frauen (und weitere „Andersartige“) in einem solchen System Karriere machen wollen, bleibt ihnen zunächst nur die eigene Anpassung an die vorherrschende (männliche) Norm. Passen sie sich nicht an, scheitern sie häufig an den einschlägigen Parametern: „zu emotional“, „fehlende Durchsetzungskraft“ et al. Das ist männliches Framing. So weit, so bekannt.

Diese Parameter stehen jedoch nur stellvertretend für ein viel tiefer gehendes Problem. Frauen haben im Wettbewerb um Einfluss, Gestaltungsmacht und Spitzengehälter signifikante Nachteile gegenüber Männern, was viele Studien belegen. Frauen werden demnach negativer bewertet, wenn sie vermeintlich geschlechteruntypische Emotionen und Verhaltensweisen zeigen. Frauen, die in traditionell männlichen Domänen erfolgreich sind, werden als weniger sympathische und wünschenswerte Führungskraft gesehen. Und Manager*innen weniger erfolgreicher Unternehmen werden weibliche Attribute zugeschrieben, während der Erfolg männlich geprägt ist.

Reflexe der Anpassung

Es liegt also durchaus nahe, wenn Frauen Anpassung an die männliche Norm als Mittel der Wahl identifizieren. Sehr häufig geht dies einher mit entsprechenden Coaching-Maßnahmen und verschiedenen Karriere-Tipps, wie etwa Modulation der Stimme, Anpassung der Kleidung, Kultivierung von Aggressivität u. v. m. Wer diesen Weg einschlägt, erschafft dadurch für sich eine Rolle, eine Projektion von zu erfüllenden Erwartungshaltungen auf das ja willige, da ambitionierte Selbst. Und das hat Konsequenzen.

Denn der Aufwand für die Frau diese und weitere Anpassungsmaßnahmen durchzuführen ist enorm. Zusätzlich birgt es ein Kontinuitäts-Dilemma: Je stärker die Anpassung, desto größer wird das Delta zwischen dem authentischen Ich und der eingenommenen Rolle. Und je größer dieses Delta, desto höher der Energiebedarf, den es zur Aufrechterhaltung dieser Rolle braucht. Das ist nicht zuletzt ein energetischer Teufelskreis, der unmittelbar in ein Burnout münden kann.

Was dabei auf der Strecke bleibt, ist alleine volkswirtschaftlich kaum zu beziffern. Doch hinter vermuteten und tatsächlich erhobenen Zahlen und Statistiken verbergen sich viele schwere Einzelschicksale. Gleichzeitig verschwendet ein System, das derart auf Anpassung setzt, riesiges Potenzial; und das, obwohl der Business Case für Diversity längst steht.

Leaky Pipelines

Frauen verlassen Organisationen in großer Zahl vor Erreichung höherer Macht- und Führungspositionen. Man hat für dieses Phänomen die Bezeichnung „leaky pipeline“ eingeführt. Leider wird nur in den seltensten Fällen hinterfragt, was die wahren Gründe für die Kündigung waren. Zu oft gibt man sich mit dem Euphemismus „Work-Life Balance“ zufrieden. In diesem Zusammenhang ist der Satz „Frauen wollen ja gar nicht“ nur ein müder Versuch das Systemversagen zu kaschieren. In Wahrheit wollen die Frauen selbstverständlich. Wir lassen sie nur nicht.

Dabei können wir es uns eigentlich gar nicht leisten auf eine so große Anzahl von Menschen zu verzichten, die aus den Systemen herausfallen: weil sie ausgebrannt sind, frustriert und demotiviert. Wir geben ihnen einen Namen: „Minderleister*innen“. Aber wir widmen uns ihnen nicht in der gebührenden Form. Denn das wäre eine Führungsaufgabe. Eine Führungsaufgabe, die sehr zeitintensiv ist. Diese Zeit haben wir meist nicht. Die Mär vom Fachkräftemangel ist in diesem Zusammenhang übrigens nur ein weiterer, sehr tragischer Euphemismus.

Fallen diese Frauen dann aus der Pipeline heraus, verschwinden sie zunächst auch aus dem Fokus unserer Wahrnehmung. Auch und gerade die sehr gut ausgebildeten und erfahrenen Arbeitnehmer*innen treten zunächst an die Peripherie unserer Systeme, wo sie sich mehr oder weniger mühsam in veränderten Arbeitsumgebungen abmühen, häufig entkoppelt von wirklicher Wertschöpfung (im betriebswirtschaftlichen Sinne). Das ist ein weiterer volkswirtschaftlicher GAU.

Es geht beim Thema der „System-Dropouts“ übrigens nicht nur um Frauen. Denken wir nur einmal an introvertierte Menschen. Schätzungen zufolge sind 20 bis 50 Prozent der Menschen mehr oder weniger stark introvertiert. Die maßgebliche Norm hingegen verlangt meist: Sei durchsetzungsstark, sei überzeugend, sei laut. Auch hier herrscht also Anpassung pur.

Dabei ist Durchsetzungsstärke, um bei diesem Beispiel zu bleiben, keine exklusive Fähigkeit extrovertierter Menschen. Es gibt unzählige Varianten diese Eigenschaft mit unterschiedlicher Persönlichkeit aufzuladen. Bei weitem nicht alle sind laut oder aggressiv.

Klassische Karrierewege

Das Problem ist: Für Führungspositionen muss man sich in irgend einer Form empfehlen. Man muss auf sich aufmerksam machen. Die Kriterien, nach denen dies erfolgt, sind nahezu allesamt auf männliche Systemerwartung ausgelegt. Beförderungen sind v.a. außerhalb von Tariforganisationen (aber auch z. T. dort) eine Sache von Beziehungen und einem persönlichen Wirkungsgrad, der das männlich-extrovertierte Paradigma klar im Vorteil sieht.

Zeitgenoss*innen, deren Fähigkeiten eher in leiseren, subtileren Kontexten zu Tage treten, finden hingegen kaum Berücksichtigung. Das Ergebnis ist die so genannte „Homosoziale Reproduktion“: Wir bekommen mehr desselben. Somit verstärkt sich das normative System selbst. Das ist der andere Teufelskreis.

Zwei Teufelskreise

Es laufen also zwei Teufelskreise ineinander: Zum einen gibt es ein organisationales System, das sich selbst permanent reproduziert und seine Systembedingungen zur alleinigen Norm erklärt (Homogenität statt Vielfalt), ausgehend von der Haltung, Frauen seien defizitär und müssten erst passend gemacht speziell und aufwändig „gefördert“ werden. Auf der anderen Seite versuchen sich Frauen mit fast allen Mitteln diesen systematischen Erwartungshaltungen anzupassen statt ganz bewusst andere Impulse, Fähigkeiten, Sicht- und Arbeitsweisen einzubringen (Konformität statt Potenzialentfaltung).

Beide Teufelskreise bedingen und verstärken sich gegenseitig und verursachen so eine falsche Wahrnehmung bei den mächtigen Männern. Diese gehen ganz selbstverständlich davon aus, dass Frauenförderung das Mittel der Wahl zur Ausmerzung weiblicher Defizite ist. Gleichzeitig entwickeln sie ein gefährliches Missverständnis: Denn schaffen es trotz all der Förderung doch wenige bis keine Frauen in die Top-Führungspositionen, so bestätigen sie dadurch das „falsche“ Narrativ vom „Sie wollen ja nicht“. Vera Schroeder schreibt u. a. dazu übrigens einen exzellenten Essay in der heutigen Samstagsausgabe der Süddeutschen Zeitung. Hier der Link [Paid] dazu.

Sytemwechsel

Statt also auf althergebrachte Weise, etwa mittels Coaching, Mentoring oder Workshop, zu mehr Frauen in Führungspositionen zu kommen, plädiere ich für einen grundsätzlichen Paradigmenwandel: Bauen wir unsere Systeme so, dass Frauen (und alle anderen) ihr Potenzial optimal entfalten können. Davon profitieren schließlich alle.

Und es wäre ein entscheidender Schritt hin zu notwendiger Systemveränderung und weg von der (falschen) Perspektive auf ein vermeintliches Führungsdefizit bei Frauen. Dazu braucht es eine konsequente, ja schonungslose Analyse der wahren Gründe für eine leaky pipeline. Wir müssen auf jeder Ebene wissen wollen, warum dort zu wenig weibliche Führungskräfte ankommen.

Und wo ein solcher Wille ist, tun sich bekanntlich auch Wege auf. Wir brauchen gleich mehrere davon.

 

Paartherapie statt Zielvereinbarung: Warum wir im Job endlich Beziehungsarbeit leisten müssen

Jeder, der in einer längeren Beziehung lebt oder gelebt hat, weiß, dass Wolke sieben ein recht vergängliches Gebilde sein kann. Ob nun im verflixten siebten Jahr oder zu einem anderen Zeitpunkt: Irgendwann ist der Lack ab, und es muss sich zeigen, ob die Paarbeziehung auch in den Schichten darunter ausreichend Potenzial für Dauerhaftigkeit besitzt.

heart-268151_1920

Nicht anders ist das im Verhältnis Arbeitnehmer zu Arbeitgeber. Ist die Anfangseuphorie im Job erst einmal verflogen und greift eine gewisse Routine Raum, dann hadert man mitunter doch sehr mit dem einst freiwillig gewählten Angestelltendasein. Die Gründe dafür sind vielfältig, doch in der Regel sind es einzelne Personen – Vorgesetzte und/oder Kollegen -, an denen man sich im Frustfall abarbeitet.

Deutungshoheit als Hebel

Dabei befindet sich der größte Hebel für mehr Zufriedenheit im Job – Achtung: Überraschung! – in einem selbst. Und zwar vor allem deshalb, weil man hier den höchsten Einfluss hat Dinge zu verändern. Verändern kann man vor allem seine Wahrnehmung und seine daraus folgenden Reaktionen.

Ein vereinfachtes Beispiel, das die Macht der Deutungshoheit illustriert: Jemand äußert verhalten Kritik an der eigenen Arbeit. Mögliche Reaktionen sind u.a.:

  1. Ich keile aus und weise das Gegenüber recht vehement darauf hin, dass meine Arbeit immer noch um Längen besser sei als die seine.
  2. Ich stürze mich in Selbstzweifel und festige so die Überzeugung, dass ich für die mir übertragenen Aufgaben offensichtlich völlig ungeeignet bin.
  3. Ich nehme die Kritik als willkommene Anlass um konstruktives Feedback zu erfragen und verbessere auf diese Weise sukzessive meine Arbeitsergebnisse.

Nichts währt mehr für immer

Eine weitere Parallele zwischen Erwerbsarbeit und Paarbeziehung besteht rein quantitativ. Die Zahl der Ehescheidungen ist vermutlich  in einem ähnlichen Maße angestiegen wie die Haltbarkeit von Arbeitnehmern in Unternehmen gleichzeitig gesunken ist. Der lineare Lebenslauf ist ein Relikt aus der Vergangenheit, während man im Privaten ja bereits seit längerem von „Lebensabschnittsgefährten“ spricht.

Einerseits ist beides die Folge einer Anpassung an moderne Lebensverhältnisse, andererseits aber auch Ausdruck gestiegener Erwartungshaltungen: an sich selbst, an den Partner, an den Arbeitgeber. Doch genau an dieser Stelle lauert auch Gefahr.

Selten geht nämlich die gesteigerte Anspruchshaltung einher mit einer Bereitschaft für langfristige Partnerschaften in Beruf oder Privatleben zu kämpfen, ja: an ihnen zu arbeiten. Beziehungen sind schließlich keine Selbstläufer, sie bedürfen regelmäßiger und z.T. harter Arbeit. Der Schlüssel ist dabei neben der Kommunikation vor allem die Reflexion über die eigenen Ansprüche.

Und regelmäßig grüßt… das Murmeltier

Wer immer rein betriebswirtschaftlich und von der Kosten-/Nutzen-Warte her argumentiert, der entschließt sich sehr häufig das vermeintliche Problem durch Rückzug zu lösen: Man trennt sich bzw. man kündigt. Die Hemmschwelle ist dabei auch durch den technologischen Fortschritt gesunken. Der nächste Partner, der nächste Job – beides ist häufig nur einen Mausklick entfernt.

Interessant wird es spätestens dann, wenn die Probleme, von denen man glaubte, man habe sie hinter sich gelassen, in der nächsten Partnerschaft und im nächsten Job in kaum veränderter Form  erneut auftreten. Es regt sich der Verdacht, dass man selbst keinen geringen Anteil an dieser Wiederholung hat, doch häufig wird diese Art der Erkenntnis schlicht verdrängt.

Wege aus der Beziehungskrise

Und nicht nur der berufliche wie private Ersatz lockt bereits am (digitalen) Horizont, auch die jeweils parat stehende Beratungsmaschinerie hat schon ein passendes Angebot im Köcher. Was der kriselnden Ehe ihre Paartherapie, das ist dem an innerlicher Kündigung kränkelnden Arbeitnehmer sein Coach. Doch spätestens an dieser Stelle endet auch so manche Parallele.

Der Paartherapeut hat in der Regel das Wohl beider Partner im Sinn, wenn er Hilfestellung bei der Überwindung von partnerschaftlichen Krisen anbietet. Ein Coach hingegen konzentriert sich meist ausschließlich auf das Individuum des Arbeitnehmers, während dessen Gegenüber, das Unternehmen, eher selten mit am Tisch sitzt.

Dabei gäbe es durchaus Transferbedarf. Vieles von dem, was ein Paartherapeut seinen Mandanten an die Hand gibt, eignet sich ganz hervorragend auch für den beruflichen Kontext.

  • Zunächst einmal ist die Einsicht hilfreich, dass eine Beziehung generell sehr viel Arbeit bedeutet. Übertragen auf die Jobsituation heißt das, dass es dafür das Zutun beider Partner braucht.
  • Eine Grundvoraussetzung ist die Reflexion über die eigene Erwartungshaltung und das eigene Handlungsrepertoire.
  • Warum ist man die Beziehung seinerzeit eingegangen? Was waren die positiven Eigenschaften am Gegenüber, die damals den Ausschlag gaben? Wer sich solche Fragen auch in Bezug auf seinen Arbeitgeber stellt, gelangt schneller zu der Erkenntnis, ob sich ein Weitermachen vielleicht lohnen kann.
  • Kommunikation ist der Schlüssel. Wer nicht miteinander redet, manifestiert ggf. Fehleinschätzungen. Außerdem freut sich ein Vorgesetzter ebenso über konstruktives Feedback wie ein Mitarbeiter.
  • Hinterfragen wir unsere Anspruchshaltung. Viele Karrieretipps laden das Thema Erwerbsarbeit viel zu sehr mit dem Zwang zur Selbstverwirklichung auf.
  • Und schließlich: Definieren wir unsere gegenseitigen Ansprüche. Was erwartet mein Arbeitgeber von mir und was sind die Dinge, die mir umgekehrt wichtig sind?

Selbstverständlich gibt es Beziehungen, deren Aufrechterhaltung mehr Schaden als Nutzen hätte. In diesem Fall ist Trennung und ein damit verbundener Neuanfang die beste Option. Wichtig ist aber die Analyse, welche Gründe letztendlich zu dieser ultima ratio geführt haben. Ein Neustart kann schließlich nur gelingen, wenn man die alten Probleme nicht in eine neue Partnerschaft trägt.