Die zwei Teufelskreise der Frauenförderung

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„Um ein tadelloses Mitglied einer Schafherde sein zu können, muss man vor allem eines sein: ein Schaf.“ (Albert Einstein)

Vor einiger Zeit schrieb ich, dass wir das Thema „Frauenförderung“ besser ganz bleiben lassen sollten. Das war natürlich ironisch und überspitzt formuliert. Was ich damit sagen wollte (und will): Es bringt nicht nur nichts Frauen* einem i. d. R. auf männliches Vorankommen zugeschnittenen System anzupassen. Eine solche Vorgehensweise ist sogar doppelt kontraproduktiv.

Wir stehen vor z. T. riesigen Herausforderungen in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Diese können wir aus meiner Sicht nur mittels kognitiver Vielfalt und im Schulterschluss aller Menschen und Geschlechter bewältigen. Wem dies zu sehr nach sozialromantischer Utopie klingt, für die oder den will ich gerne einen Blick auf die aktuell vorherrschende Praxis werfen.

In der überwiegenden Mehrheit unserer Organisationen herrscht signifikant hoher Anpassungsdruck an ein normatives Umfeld. Dieses Umfeld wird nicht selten als Meritokratie bezeichnet, etwa in der Quotendiskussion: Wir wollen die Besten, nicht die Weiblichsten, heißt es da gerne einmal.

Was nach Gerechtigkeit klingt, ist jedoch ein gewaltiger Trugschluss, denn aufgrund von Rahmenbedingungen, Historie und vorherrschender Mechanismen sind diese Umfelder vornehmlich patriarchal geprägte Systeme. Und diese sind keineswegs auf das Vorankommen der Besten ausgelegt – wie es ja eine Meritokratie versprechen würde -, sondern bevorzugen bestimmte Gruppen und Individuen.

Von Normen und Männern

Sehr viele Unternehmen und Organisationen sind in erster Linie auf das Vorankommen von Männern* ausgerichtet. Entsprechende Hierarchien und Organisationskulturen sorgen dafür, dass das auch so bleibt. Da ist der Ruf nach Frauenförderung im Sinne reiner Systemanpassung der denkbar schlechteste Ansatz.

Denn wenn Frauen (und weitere „Andersartige“) in einem solchen System Karriere machen wollen, bleibt ihnen zunächst nur die eigene Anpassung an die vorherrschende (männliche) Norm. Passen sie sich nicht an, scheitern sie häufig an den einschlägigen Parametern: „zu emotional“, „fehlende Durchsetzungskraft“ et al. Das ist männliches Framing. So weit, so bekannt.

Diese Parameter stehen jedoch nur stellvertretend für ein viel tiefer gehendes Problem. Frauen haben im Wettbewerb um Einfluss, Gestaltungsmacht und Spitzengehälter signifikante Nachteile gegenüber Männern, was viele Studien belegen. Frauen werden demnach negativer bewertet, wenn sie vermeintlich geschlechteruntypische Emotionen und Verhaltensweisen zeigen. Frauen, die in traditionell männlichen Domänen erfolgreich sind, werden als weniger sympathische und wünschenswerte Führungskraft gesehen. Und Manager*innen weniger erfolgreicher Unternehmen werden weibliche Attribute zugeschrieben, während der Erfolg männlich geprägt ist.

Reflexe der Anpassung

Es liegt also durchaus nahe, wenn Frauen Anpassung an die männliche Norm als Mittel der Wahl identifizieren. Sehr häufig geht dies einher mit entsprechenden Coaching-Maßnahmen und verschiedenen Karriere-Tipps, wie etwa Modulation der Stimme, Anpassung der Kleidung, Kultivierung von Aggressivität u. v. m. Wer diesen Weg einschlägt, erschafft dadurch für sich eine Rolle, eine Projektion von zu erfüllenden Erwartungshaltungen auf das ja willige, da ambitionierte Selbst. Und das hat Konsequenzen.

Denn der Aufwand für die Frau diese und weitere Anpassungsmaßnahmen durchzuführen ist enorm. Zusätzlich birgt es ein Kontinuitäts-Dilemma: Je stärker die Anpassung, desto größer wird das Delta zwischen dem authentischen Ich und der eingenommenen Rolle. Und je größer dieses Delta, desto höher der Energiebedarf, den es zur Aufrechterhaltung dieser Rolle braucht. Das ist nicht zuletzt ein energetischer Teufelskreis, der unmittelbar in ein Burnout münden kann.

Was dabei auf der Strecke bleibt, ist alleine volkswirtschaftlich kaum zu beziffern. Doch hinter vermuteten und tatsächlich erhobenen Zahlen und Statistiken verbergen sich viele schwere Einzelschicksale. Gleichzeitig verschwendet ein System, das derart auf Anpassung setzt, riesiges Potenzial; und das, obwohl der Business Case für Diversity längst steht.

Leaky Pipelines

Frauen verlassen Organisationen in großer Zahl vor Erreichung höherer Macht- und Führungspositionen. Man hat für dieses Phänomen die Bezeichnung „leaky pipeline“ eingeführt. Leider wird nur in den seltensten Fällen hinterfragt, was die wahren Gründe für die Kündigung waren. Zu oft gibt man sich mit dem Euphemismus „Work-Life Balance“ zufrieden. In diesem Zusammenhang ist der Satz „Frauen wollen ja gar nicht“ nur ein müder Versuch das Systemversagen zu kaschieren. In Wahrheit wollen die Frauen selbstverständlich. Wir lassen sie nur nicht.

Dabei können wir es uns eigentlich gar nicht leisten auf eine so große Anzahl von Menschen zu verzichten, die aus den Systemen herausfallen: weil sie ausgebrannt sind, frustriert und demotiviert. Wir geben ihnen einen Namen: „Minderleister*innen“. Aber wir widmen uns ihnen nicht in der gebührenden Form. Denn das wäre eine Führungsaufgabe. Eine Führungsaufgabe, die sehr zeitintensiv ist. Diese Zeit haben wir meist nicht. Die Mär vom Fachkräftemangel ist in diesem Zusammenhang übrigens nur ein weiterer, sehr tragischer Euphemismus.

Fallen diese Frauen dann aus der Pipeline heraus, verschwinden sie zunächst auch aus dem Fokus unserer Wahrnehmung. Auch und gerade die sehr gut ausgebildeten und erfahrenen Arbeitnehmer*innen treten zunächst an die Peripherie unserer Systeme, wo sie sich mehr oder weniger mühsam in veränderten Arbeitsumgebungen abmühen, häufig entkoppelt von wirklicher Wertschöpfung (im betriebswirtschaftlichen Sinne). Das ist ein weiterer volkswirtschaftlicher GAU.

Es geht beim Thema der „System-Dropouts“ übrigens nicht nur um Frauen. Denken wir nur einmal an introvertierte Menschen. Schätzungen zufolge sind 20 bis 50 Prozent der Menschen mehr oder weniger stark introvertiert. Die maßgebliche Norm hingegen verlangt meist: Sei durchsetzungsstark, sei überzeugend, sei laut. Auch hier herrscht also Anpassung pur.

Dabei ist Durchsetzungsstärke, um bei diesem Beispiel zu bleiben, keine exklusive Fähigkeit extrovertierter Menschen. Es gibt unzählige Varianten diese Eigenschaft mit unterschiedlicher Persönlichkeit aufzuladen. Bei weitem nicht alle sind laut oder aggressiv.

Klassische Karrierewege

Das Problem ist: Für Führungspositionen muss man sich in irgend einer Form empfehlen. Man muss auf sich aufmerksam machen. Die Kriterien, nach denen dies erfolgt, sind nahezu allesamt auf männliche Systemerwartung ausgelegt. Beförderungen sind v.a. außerhalb von Tariforganisationen (aber auch z. T. dort) eine Sache von Beziehungen und einem persönlichen Wirkungsgrad, der das männlich-extrovertierte Paradigma klar im Vorteil sieht.

Zeitgenoss*innen, deren Fähigkeiten eher in leiseren, subtileren Kontexten zu Tage treten, finden hingegen kaum Berücksichtigung. Das Ergebnis ist die so genannte „Homosoziale Reproduktion“: Wir bekommen mehr desselben. Somit verstärkt sich das normative System selbst. Das ist der andere Teufelskreis.

Zwei Teufelskreise

Es laufen also zwei Teufelskreise ineinander: Zum einen gibt es ein organisationales System, das sich selbst permanent reproduziert und seine Systembedingungen zur alleinigen Norm erklärt (Homogenität statt Vielfalt), ausgehend von der Haltung, Frauen seien defizitär und müssten erst passend gemacht speziell und aufwändig „gefördert“ werden. Auf der anderen Seite versuchen sich Frauen mit fast allen Mitteln diesen systematischen Erwartungshaltungen anzupassen statt ganz bewusst andere Impulse, Fähigkeiten, Sicht- und Arbeitsweisen einzubringen (Konformität statt Potenzialentfaltung).

Beide Teufelskreise bedingen und verstärken sich gegenseitig und verursachen so eine falsche Wahrnehmung bei den mächtigen Männern. Diese gehen ganz selbstverständlich davon aus, dass Frauenförderung das Mittel der Wahl zur Ausmerzung weiblicher Defizite ist. Gleichzeitig entwickeln sie ein gefährliches Missverständnis: Denn schaffen es trotz all der Förderung doch wenige bis keine Frauen in die Top-Führungspositionen, so bestätigen sie dadurch das „falsche“ Narrativ vom „Sie wollen ja nicht“. Vera Schroeder schreibt u. a. dazu übrigens einen exzellenten Essay in der heutigen Samstagsausgabe der Süddeutschen Zeitung. Hier der Link [Paid] dazu.

Sytemwechsel

Statt also auf althergebrachte Weise, etwa mittels Coaching, Mentoring oder Workshop, zu mehr Frauen in Führungspositionen zu kommen, plädiere ich für einen grundsätzlichen Paradigmenwandel: Bauen wir unsere Systeme so, dass Frauen (und alle anderen) ihr Potenzial optimal entfalten können. Davon profitieren schließlich alle.

Und es wäre ein entscheidender Schritt hin zu notwendiger Systemveränderung und weg von der (falschen) Perspektive auf ein vermeintliches Führungsdefizit bei Frauen. Dazu braucht es eine konsequente, ja schonungslose Analyse der wahren Gründe für eine leaky pipeline. Wir müssen auf jeder Ebene wissen wollen, warum dort zu wenig weibliche Führungskräfte ankommen.

Und wo ein solcher Wille ist, tun sich bekanntlich auch Wege auf. Wir brauchen gleich mehrere davon.

 

Employer Branding statt Unternehmenskultur? Wenn Frauen- und Familienförderung zum „Purplewashing“ verkommt.

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Die Welle hat schon eine ganze Reihe von Unternehmen erfasst. McDonald’s verkauft seine pappigen Burger mittlerweile unter grünem Logo, Coca-Cola ist mit der „Coke life“ auf den nachhaltigen Bandwagon aufgesprungen, die Damen und Herren von der Wurstmühle aus Rügenwald machen jetzt in veganem Brotbelag und sogar die Billigheimer aus dem Hause Lidl schwadronieren neuerdings von Lebensmittelqualität.

Vom Greenwashing zum Purplewashing

All dies sind mehr oder weniger gelungene Beispiele für den Trend des „Greenwashing“. Seit Unternehmen Nachhaltigkeit als Marketinginstrument für sich entdeckt haben, kennen Agenturen kein Halten mehr. Keine Umpositionierung erscheint ihnen zu absurd, als dass sie auf die Idee kämen mal den ein oder anderen Etat etwa aufgrund ethischer Bedenken abzulehnen. Statt dessen wird alles grüngewaschen, was bei drei nicht auf der nächsten Plastikpalme ist.

Aber irgendwann sind alle Sünder grün, alle Bad Banks weiß und alle Umweltverschmutzer halbwegs sauber – jedenfalls in der Außendarstellung. Doch was dann? Welche Aufgabe könnten Unternehmen mit ähnlicher Vehemenz angehen? Ich hätte da eine Idee, oder nennen wir es eher: eine Befürchtung. Ich nenne sie Purplewashing.

[Disclaimer: Purplewashing nenne ich das übrigens deshalb, weil lila auch die Farbe der Frauenbewegung ist und ich die Analogie zum Greenwashing so treffend finde. Ich bin mir dessen bewusst, dass der Begriff bereits in anderen Zusammenhängen Verwendung fand, die hier jedoch keine Rolle spielen sollen.]

Frauen und Mütter als Erfolgsfaktor?

Sinn und Zweck des Versuchs sich als Unternehmen mittels Kampagne ein neues Positivimage zu erkaufen ist die ständige Suche nach einem Differenzierungsmerkmal gegenüber dem Wettbewerb. Preis und Qualität sind dabei längst nicht mehr potenzialträchtig, sondern Standard. Nachhaltigkeit hingegen war sehr lange ein guter Hebel im Kampf um Marktanteile. Doch irgendwann droht sich auch der beste Hebel abzunutzen, Nachhaltigkeit ist bereits auf dem Wege zum bloßen Hygienefaktor: Man muss das Thema bedienen, aber wirklich entscheidend ist dieser Faktor irgendwann nicht mehr.

Höchste Zeit also für etwas Neues. Dabei lohnt wie stets der Blick in die Medien. Welche Themen sind derzeit en vogue, wofür werden Unternehmen und Unternehmer kritisiert? Wo könnte man das eigene Unternehmen als Vorreiter positionieren?

Zweifellos hat das Thema Frauen derzeit mediale Konjunktur; wahlweise auch das Thema Mütter. Die Kontexte sind mannigfaltig und reichen von gläsernen Decken und eingefrorenen Eizellen über Gender Pay Gap und mangelnde Vereinbarkeit bis zu Debatten-gewordenen Hashtags wie #regrettingmotherhood oder #aufschrei.

Feigenblatt für die Corporate Social Responsibility

Aus Sicht des Employer Branding ist das ein gefundenes Fressen. Was läge also näher als sich die Antizipation der Problematik und deren Teillösungsansätze auf die Unternehmens-Fahnen zu schreiben? Schon ist die Kampagne geboren. Schnell noch die CSR-Abteilung und den Vorstand ins Boot geholt nach dem Motto „Hey, da müssen wir dabei sein!“ – fertig ist das neue Image. Der feuchte Traum der HR-Strategen ist dabei vermutlich ein Top-Ranking für das eigene Unternehmen in den Google SERPs bei Keywords wie „Frauenförderung“, „Vereinbarkeit“ oder „Work-Life-Balance“.

Das ist zu zynisch? Das Thema Frauenförderung etc. braucht Unterstützung von allen Seiten und jeder Zweck heiligt die Mittel? Mitnichten. Denn was wirklich zählt in Unternehmen, die sich dem Thema Frauen- und Familienförderung widmen, ist – Achtung – Nachhaltigkeit; und Belastbarkeit. Was ich damit meine, offenbart sich beim Blick unter die Haube.

Außen hui, Innen pfui!

Sehr viele Firmenchefs haben inzwischen erkannt (oder wurden von ihrer Unternehmenskommunikation entsprechend gebrieft), dass die Förderung von Mitarbeiterinnen hervorragend auf das Konto des Employer Branding einzahlt. Sie werden nicht müde zu betonen, dass es für sie eine Herzensangelegenheit sei und sie sich mit all ihrer Kraft für eine entsprechende Unternehmenskultur einsetzen würden. Doch die Geschichten, die aus eben jenen Unternehmen nach außen dringen, zeichnen ein ganz anderes Bild.

  • Da ist die junge Mitarbeiterin, die nach ihrer Hochzeit, zu der ihr vom Vorgesetzten herzlich gratuliert wurde, plötzlich unberücksichtigt bleibt bei spannenden Projekten oder gar Beförderungen.
  • Da ist die Schwangere, der bei der Verkündung der frohen Botschaft nur ein extrem genervter Blick ihrer Chefin entgegenschlägt: wie sie sich das gedacht hätte, wer die ganze Arbeit übernehmen solle.
  • Da ist die junge Mutter, die bei der Rückkehr an ihren Arbeitsplatz feststellen muss, dass sie in diesem Unternehmen keine Karriere mehr machen wird.
  • Da ist die Abteilungsleiterin, die wörtlich und mehrfach verkündet, dass Teilzeitlösungen in ihrem Team nicht in Frage kämen.
  • Da ist der Chef von fast 100 Mitarbeitern, der sich hämisch über den jungen Kollegen äußert, der in Elternzeit geht. Der müsse wohl, sonst stiege ihm die Frau aufs Dach.

Harte Arbeit statt Parolen

Es gibt leider noch viel mehr unerfreuliche Beispiele dieser Art. Sie passieren täglich und bleiben in der Regel ohne Konsequenzen. Und das ist das eigentliche Dilemma. Denn so lange Frauenförderung nur Unternehmens-PR ist, so lange Vorgesetzte sich wie die Axt im Walde benehmen dürfen, so lange Vereinbarkeit ein Lippenbekenntnis bleibt – so lange ändert sich überhaupt nichts an den Rahmenbedingungen für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.

Und es ist eigentlich wie stets: Ja mehr über etwas geredet wird – in diesem Falle über Frauenförderung -, desto weniger ernst scheint es dem Unternehmen wirklich zu sein. Aber es helfen nun einmal keine Programme, kein plakatives Mentoring, kein Employer Branding.

Was hilft, ist ausschließlich harte und nachhaltige Arbeit an der Verbesserung der Arbeitsbedingungen und der Unternehmenskultur.

Was hilft, ist die ehrliche und nachhaltig gelebte Überzeugung der Unternehmensführung, dass nur eine Unternehmenskultur, die die individuellen Bedürfnisse der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ernst nimmt, fördert und organisieren hilft, zukunftsfähig ist.

Was hilft ist die sofortige und schonungslose Aufdeckung, Benennung und Beseitigung von Missständen der Art, wie sie oben beschrieben wurden.

Das alles ist anstrengend und nicht immer einfach um- und durchzusetzen.

Das alles hat nichts mit den Anforderungen durch die Shareholder zu tun.

Und das alles ist vermutlich zunächst einmal nicht in KPI zu kleiden.

Aber es geht nur so. Alles andere ist Show.