Heul doch, Mann! Eine Replik auf Jens Jessen.

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Weinen ist gut, Ranten nicht unbedingt besser. (Foto von Tom Pumford bei unsplash.com)

„Der Mann? Das ist der Mann, den sich diese neuen Radikalfeministinnen vorstellen.“

So antwortete ZEIT-Feuilletonist Jens Jessen auf die Frage der Radiomoderatorin Katja Weber von radioeins, welche Männer er mit seinem verbalen Rundumschlag via ZEIT-Titelgeschichte („Schäm dich, Mann!“, ZEIT Nr. 15 vom 5. April 2018) meinte. Der Sachverhalt wird durch diese Aussage nicht klarer, zumal Jessen auch in der Folge des Interviews eine Erklärung schuldig bleibt.

Im Artikel selbst wittert Jessen ein „rhetorisches Hexenlabyrinth“, in dem „jedes männliche Entgegenkommen in einer Sackgasse endet.“ Jene Sackgasse ist wohl eher der Jessenschen Abstraktionsfähigkeit zuzuordnen. Es drängt sich jedenfalls der Eindruck auf, dass er noch nicht annähernd verstanden hat, dass es in einer patriarchalen Struktur nicht um irgend ein Entgegenkommen geht, sondern um die Ermöglichung von Gleichberechtigung im Maßstab 50:50. Und dass nicht Entgegenkommen sexuelle Übergriffe verhindert, sondern nur die Bewusstmachung des vollen Ausmaßes toxischer Maskulinität und deren z. T. schrecklichen Konsequenzen.

Jessen fühle sich in der Zwickmühle. Sowohl Schweigen als auch Teilnahme am Diskurs seien keine Optionen, da beide Varianten von den „Wortführerinnen der Debatte“ (Männer sind offensichtlich mitgemeint) zur argumentativen No-go Area für Männer erklärt worden seien. Was der Autor nicht verstanden hat: Schweigen an der richtigen Stelle und Diskursbeiträge mit den passenden Inhalten sind zwei ganz hervorragende Optionen für Männer in der Debatte um #metoo. Dafür brächte es aber die Fähigkeit und den Willen sich das passende Repertoire auch anzueignen.

Jens Jessen ist sich nicht zu schade die feministische Rhetorik mit „bolschewikischen Schauprozessen“ zu vergleichen: der Mann als Klassenfeind. Wenn man denkt, es könne absurder nicht werden, wird es weinerlich: Als Männer seien sie „Ursache jeglichen Weltproblems.“ Kaum sind die Tränen der Rührung ob einer solchen Einlassung getrocknet, geht es weiter im Text.  Jessen meint die „ideologische Totalität des neuen Feminismus“ erkannt zu haben. Die geneigte Leserin (Männer sind mitgemeint) ist sprachlos.

Man muss dem Artikel insofern Respekt zollen, als nahezu alle antifeministischen Reflexe verarbeitet werden. Vom Mansplaining zum Manspreading ist es eine recht kurze argumentative Wegstrecke. Ein wenig später wird es hingegen nachgerade investigativ: Bei EDITION F habe man eine Textstelle entfernt, in der die Autorin Mirna Funk eine Terrorgruppe anregte, die „die alten weißen Männer aus dem Weg schaffen“ solle. Ob Herr Jessen den Generalbundesanwalt bereits informiert hat? Schließlich ist dieser selbst Teil der Gefährdeten-Gruppe.

Einzig das Wechselmodell habe ich vermisst, aber vielleicht hat Herr Jessen keinen so guten Draht zu den Männerrechtlern, die dieses Thema gerne in jede Diskussion um Männlein und Weiblein einschmuggeln. Ansonsten aber deckt der Artikel alles ab, was den Autor in den vergangenen Jahren gestört zu haben scheint: #aufschrei und #teamginalisa sind nur zwei Hashtags, denen Jessen noch eine mitgibt. Nicht ohne sie zuvor als „kindische Wallungen aus dem Internet“ zu branden. Ein wenig Maschinenstürmertum verträgt sich offenbar trefflich mit einer antifeministischen Agenda.

Die „Kollektivverantwortung aller Männer“ ist es, die für Jessen so unerträglich scheint. Deshalb geht er jetzt auch in die Vollen: „Der Feminismus hat damit eine Grenze überschritten, die den Bezirk der Menschlichkeit von der offenen Barbarei trennte.“ Was bist jetzt u. U. noch lustig war, kippt spätestens jetzt ins Perfide. Jessen entmenschlicht die Feminist*nnen. Das ist ein klassisches demagogisches Sprachmuster. Damit überschreitet Jessen eine Grenze, die nicht mehr im Sinne eines „Rants“ zu entschuldigen ist. Man darf davon ausgehen, dass er das ganz bewusst macht.

Einst bescheinigte Hellmuth Karasek Jens Jessen einen „gnadenlosen Blick für das Absurde der Zeitgenossenschaft und die nötige Bildung, um es einzuordnen.“. Entweder hat er diesen Blick verloren, oder er hat sich ganz bewusst dafür entschieden, dass Feminismus zum Absurden gehört. Beides wäre extrem bedauerlich.

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