Reales Ich vs. Digitales Ich – über Panoptismus, Paranoia und PR in Zeiten digitaler Kommunikation

Als ich zuletzt für längere Zeit auf Reisen war, kommentierte ein Bekannter einige meiner bei Facebook veröffentlichen Fotos mit der Aufforderung ich möge zukünftig (bitteschön) „weniger coole Pics mit Sonnenbrille“ und statt dessen „mehr Fotos des echten Robert“ zeigen. Mir fiel seinerzeit wenig mehr dazu ein als ihm zu antworten, dass wir hier bei Facebook und nicht etwa in meinem ganz privaten Fotoalbum seien.

Doch was habe ich damit eigentlich gemeint? Der Schöpfer des Begriffs der „Virtual Reality“ und frischgebackene Friedenspreisträger Jaron Lanier wies kürzlich in einem Beitrag in der FAZ darauf hin, dass Big Data nur dann potenzialträchtig sei, wenn die zugrunde liegende Datenbasis von hoher Qualität ist, also der Wahrheit entspricht. Was das mit meinen Urlaubsfotos zu tun hat? Eine ganze Menge.

Früher trennte ich meine mehr oder weniger sozialen Netzwerke strikt in beruflich vs. privat. XING war Job und Facebook waren Freunde. Das ist längst passé, auch, aber nicht nur, aus Gründen der Bequemlichkeit. Es war und ist schlicht nicht mehr möglich (jedenfalls nicht ohne erheblichen Aufwand) trennscharf zwischen engen Freunden, „normalen“ Freunden, Bekannten, Kontakten, Netzwerken etc. zu unterscheiden.

Was bleibt einem also übrig als jegliche Trennung aufzuheben? Verbunden damit waren und sind klare Konsequenzen für mein Kommunikationsverhalten. Ich veröffentliche nur noch Dinge, die ich theoretisch auch einer großen Öffentlichkeit nicht vorenthalten würde. Dabei gehe ich davon aus, dass alle anderen ebenso verfahren und sich der Kommunikation des kleinsten gemeinsamen Privatsphäre-Nenners stets bewusst sind. Ich frage mich inzwischen jedoch manchmal, ob das tatsächlich der Fall ist.

In einem Artikel der Süddeutschen Zeitung war jüngst die Rede von der „Pöbelmaschine“ Internet (SZ vom 7./8./9.6.14, S. V1). Neben der ganz richtigen Feststellung, dass es sich mitunter weniger um Soziale als um „Asoziale Medien“ handle, in denen mancher Kommentator unter „Digitalem Tourette“ leide, weist die Autorin darauf hin, dass wir uns im Netz entgegen landläufiger Interpretation weniger in der Anonymität, als vielmehr in einer Pseudonymität bewegen. Und ein Pseudonym beinhaltet immer die Chance (oder eben das Risiko) der Manipulation des virtuellen oder digitalen Ich.

Sowohl Jaron Lanier mit seinem Hinweis auf die (inzwischen wohl gefährdete) Qualität von Big Data, als auch die Ableitungen aus dem Konzept der Pseudonymität weisen auf einen Gegenwartstrend hin: den Panoptismus. Der Begriff geht auf ein Architekturkonzept für Gefängnisse zur einfacheren Überwachung größerer Gruppen zurück, das Konzept des Panopticons.

„Der französische Philosoph des späten 20. Jahrhunderts Michel Foucault bezeichnete dieses Ordnungsprinzip als wesentlich für westlich-liberale Gesellschaften, die er auch Disziplinargesellschaften nennt. In Anlehnung daran entwickelte er seinen Begriff des Panoptismus.“ (Quelle: Wikipedia)

Auf die Gegenwart übertragen bedeutet das Prinzip des Panoptismus, dass in Zeiten lückenloser Überwachung durch Geheimdienste und völliger, größtenteils logarithmisch gesteuerter Ausvermarktung von Informationsangeboten die Gegenreaktion ein Schutzreflex ist:

In der Annahme, alles sei (zumindest theoretisch) öffentlich einsehbar, ändert sich unser Verhalten wesentlich, vor allem im digitalen Kontext. Wir kreieren unser digitales Ich als mehr oder weniger „sicheres“ Pendant zu unserem realen Ich. Und Letzteres ersetzt in Teilen bereits die Realität. Wie lange wir Original und Fälschung Stellvertreter noch unterscheiden können, bleibt abzuwarten.

Wohin kann das führen? Ich weiß beispielsweise von mehreren Freunden und Bekannten, dass sie Google nahezu täglich mit Suchanfragen füttern, die explizit nichts mit ihnen zu tun haben. Ziel ist eine gewisse Verschleierung ihrer digitalen Identität, im konkreten Fall der Versuch das Re-Targeting durch die Werbeindustrie zu erschweren. Ist ein solches Verhalten naiv, paranoid oder womöglich doch clever und angebracht?

Spannend ist in diesem Zusammenhang auch der Einfluss immer restriktiverer öffentlicher oder digitaler Äußerungen auf die Entwicklung von Diensten und Produkten. So ist es angesichts der gefühlten Bedrohung durch die digitale Überwachung wenig verwunderlich, dass auch im Bereich des Crowdfunding Projekte (wie etwa Protonet) favorisiert werden, deren Ziel ein Höchstmaß an Datensicherheit ist.

Eine interessante Entwicklung im Bereich der Social Networks ist vor diesem Hintergrund auch Secret.ly, das mit mindestens einem Gesetz digital-sozialer Wahrnehmung bricht: mit dem Wunsch als Person (mit Pseudonym oder Klarname) Anerkennung zu finden. Denn hier profiliert sich der User völlig anonym und lediglich über seine textlichen oder bildlichen Beiträge, ein Personenbezug ist nicht mehr gegeben.

Meine eigene Identität im digitalen Raum ist also ein Teil meines realen Ich, aber eben nur ein Teil. Und ich warne davor diesen als pars pro toto zu verstehen. Ich achte bewusst darauf – nicht zuletzt aus Gründen der Eigen-PR – , was ich wo und in welcher Formulierung über mich veröffentliche. SEO spielt eine (kleine) Rolle und in diesem Zusammenhang auch die Kontrolle über die erste Seite der Suchergebnisse z.B. bei Eingabe meines Namens bei Google. Manche finden das übertrieben, ich finde es halbwegs professionell. Womit ich einen gewissen paranoiden Narzissmus eine leichte Eitelkeit keineswegs leugnen möchte.

Dieser Beitrag erschien zunächst bei der deutschen Huffington Post.

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