Alles beim Alten? Ein Blick auf die acatech-Initiative „HR-Kreis“

Durch einen Tweet von Thomas Sattelberger wurde ich auf eine mir bis dato noch unbekannte Initiative aufmerksam:

Ein paar Tage später legte Sattelberger nach und erklärte das o.g. Papier zum #mustread:

Zwar bin ich kein Personaler, habe mich aber dennoch dazu entschlossen das Papier zu lesen. Zunächst einmal wollte ich dabei verstehen, wer der Absender ist. Laut Pressemitteilung handelt es sich bei acatech um die „Deutsche Akademie für Technikwissenschaften“.

Bereits auf den ersten Blick ist das eine recht männlich dominierte Einrichtung unter Beimischung einiger (zu erwartender) Frauen, die auch auf der Homepage abgebildet sind. Darunter finden sich etwa BMW-Erbin Susanne Klatten oder Renate Köcher, die als Geschäftsführerin des Instituts für Demoskopie Allensbach in Deutschland seit vielen Jahren qua Position eine gewisse Deutungshoheit über gesellschaftliche und wirtschaftliche Fakten besitzt.

Neue Gesichter sucht man leider vergeblich, was angesichts des akademischen Kontexts aber auch nicht sonderlich überrascht. Es ist schließlich schwer vorstellbar, dass etwa eine Mittzwanzigerin bereits Teil dieser Wissenschaftselite ist. Es bleibt also dabei: vorwiegend Männer im gesetzten Alter. Beide Präsidenten, der Generalsekretär, das geschäftsführende Präsidium – alles männlich, weiß und,mit Verlaub, „alt“.

Aber werfen wir zunächst einen Blick auf den Zweck der Einrichtung acatech. Dazu heißt es in deren Satzung:

„Die Deutsche Akademie der Technikwissenschaften dient der Förderung von Wissenschaft und Forschung. Sie verfolgt den Zweck, Initiativen zur Förderung der Technik in Deutschland zu ergreifen und dabei insbesondere das öffentliche Verständnis für die Bedeutung zukunftsweisender Technologien zu stärken.“

Spannend finde ich die Aussage, die durch das „insbesondere“ verstärkt wird. Es geht demnach um Öffentlichkeitswirksamkeit. Und weiter heißt es dort:

„Die Deutsche Akademie der Technikwissenschaften verfolgt ausschließlich und unmittelbar gemeinnützige Zwecke im Sinne des Abschnitts „Steuerbegünstigte Zwecke“ der Abgabenordnung in Verbindung mit § 5 Abs. 1 Nr. 9 des Körperschaftssteuergesetzes. Sie ist selbstlos tätig und verfolgt nicht in erster Linie eigenwirtschaftliche Zwecke.“

Die Öffentlichkeitswirksamkeit ist ganz offensichtlich eine gemeinnützige Angelegenheit. Ich selbst bin durchaus Technik-affin, kann also ein gewisses Verständnis dafür aufbringen, wenn meine Steuergelder auch für Technik-Lobbyismus Verwendung finden. Gleichzeitig will ich es dann aber auch etwas genauer wissen. Und hier lautet die Frage zunächst immer: Cui bono?

Bei Kununu erhält acatech selbst übrigens (bei insgesamt fünf Bewertungen) eher verheerende Bewertungen als Arbeitgeber, vor allem der Bereich „Vorgesetztenverhalten“ wird mit der schlechtesten Wertung versehen. Das aber nur als Bemerkung am Rande. Wichtiger ist ja die eingangs erwähnte Initiative, die als „HR-Kreis“ bezeichnet wird. In der Pressemitteilung dazu heißt es:

„Eine Gruppe von Personalvorständen führender deutscher Unternehmen und Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus den Bereichen Bildung, Arbeitswissenschaften und Betriebswirtschaft hat am 19. April im Bundeskanzleramt das Thesenpapier „Die digitale Transformation gestalten“ vorgestellt. Neben einer Analyse der Ausgangslage deutscher Firmen finden sich darin auch Vorschläge für eine flexiblere Aus- und Weiterbildung, Unternehmens- und Arbeitsorganisation sowie Nachwuchssicherung. Der Gesprächskreis zum Thema Human Resources (HR-Kreis) wird moderiert von Thomas Sattelberger, dem Vorsitzenden der Bildungsinitiative MINT Zukunft schaffen und ehemaligem Personalvorstand der Telekom.“

Interessant sind die Inhalte des von der Initiative erarbeiteten Thesenpapiers „Die digitale Transformation gestalten – Was Personalvorstände zur Zukunft der Arbeit sagen“ sowie die Zusammensetzung jenes Kreises von HR-Verantwortlichen. Zu „Hintergrund und Ziele“ schreiben die Verfasser:

„acatech und die Jacobs Foundation bringen im HR-Kreis hochrangige Persönlichkeiten aus Wirtschaft und Wissenschaft zu einem vertraulichen Strategiedialog zur Sicherung innovationsrelevanter Kompetenzen in Deutschland zusammen. Die Mitglieder des HR-Kreises sind in der Mehrzahl Personalvorstände führender Technologie- und Dienstleistungsunternehmen. Gastgeber sind acatech Präsident Henning Kagermann und Joh. Christian Jacobs, Präsident der Jacobs Foundation und acatech Senator.“

In diesem Absatz wird also auch die Finanzierung transparent. Offenbar doch nicht (nur) Steuergelder. Die Ziele der Jacobs Foundation sind u.a. auf deren Website nachzulesen.

Weiter heißt es zum HR-Kreis:

„Die Personalexperten tauschen sich unter anderem über zukünftige Kernkompetenzen aus, die eine erfolgreiche Umsetzung der digitalen Transformation der Wirtschaft ermöglichen. Dabei geht es insbesondere um die Frage, wie junge Menschen befähigt werden können, die neuen Herausforderungen der veränderten Arbeitswelt zu bewältigen.“

Spätestens jetzt lohnt ein Blick auf die Zusammensetzung des HR-Kreises. Es ist das Who-is-who der deutschen Konzernlandschaft. Und genau hier beginnt auch das Problem. Ob es nun Albert Einstein wirklich gesagt hat oder nicht, das ihm zugeschriebene Zitat zeigt ein grundsätzliches Dilemma solcher Initiativen auf:

„Probleme kann man niemals mit derselben Denkweise lösen, durch die sie entstanden sind.“

Doch genau das wird hier versucht. Man könnte sich die Mühe machen etwa das Durchschnittsalter der Konzern-Teilnehmer_innen am HR-Kreis auszurechnen. Oder deren Herkunft. Von ihrem Gender war bereits die Rede. Doch auch so wird deutlich: Diversity scheint eher nicht das Ziel der Initiative gewesen zu sein.

Die Frage muss gestellt werden: Warum sprechen hier wieder einmal nur die Etablierten über unsere Zukunft? Warum erhalten die üblichen Verdächtigen erneut eine fast hermetisch abgeschlossene Möglichkeit ihren Interessen politischen Einfluss zu verschaffen? Sie waren und sind es doch, die den Status Quo zu verantworten haben.

In etwa das habe ich Herrn Sattelberger via Twitter auch gefragt, auf Antwort warte ich noch. inzwischen (Update) hat der wie folgt geantwortet:

Daraufhin entspann sich noch folgender „Dialog“ zwischen uns:

 

(S)eine Antwort interessierte mich umso mehr, als es ja nachgerade Thomas Sattelberger ist, der sich allerorts durch z.T. deutliche Kritik an den Zuständen in den DAX-Konzernen etc. hervortut und profiliert. Die Vehemenz seiner Auftritte ist mir grundsätzlich sympathisch, zumal er ein brillanter Rhetoriker ist. Doch muss man sich daran eben auch manchmal messen lassen.

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Der Mensch im Mittelpunkt der Digitalen Transformation?

Mir drängt sich der Eindruck auf, dass es sich beim „HR-Kreis“ um nichts anderes handelt als um eine mächtige Lobby-Initiative der beteiligten Konzerne, die ihren Einfluss auf die Zukunft von Arbeit im digitalen Kontext geltend machen möchten. In der Publikation selbst heißt es zwar, „dass die Digitalisierung vor allem von Menschen für Menschen gemacht wird“ (S. 7), in der Folge wird jedoch genau das wieder relativiert: Es gehe, so die Verfasser, darum, „wie junge Menschen befähigt werden können, die neuen Herausforderungen der veränderten Arbeitswelt zu bewältigen.“ Hier wird dann vielleicht doch lieber passend gemacht, was passen muss. Das System selbst stellt offensichtlich niemand ernsthaft in Frage. Ob dabei wirklich der Mensch im Mittelpunkt steht?

Selbstverständlich müssen wir die technologische Qualifikation zukünftiger Generationen sicherstellen und fördern, auch die Idee einer „Hybridqualifikation“ ist nachvollziehbar, ebenso wie viele weitere der Zustandsbeschreibungen und Lösungsansätze im Thesenpapier. Doch wenn wir beim „Was“ das „Wie“ vergessen und ausschließlich auf alte Netzwerke bei der Erarbeitung neuer Lösungen setzen, wird es sehr schwer werden Veränderung zu initiieren.

Meine Kritik richtet sich also nicht gegen die im Thesenpapier festgehaltenen Zustandsbeschreibungen vor dem Hintergrund einer Digitalen Transformation. Mir geht es um den gewählten Grundansatz und ein Setup, das Diversity, den Wunsch radikal(!) neue Wege gehen zu wollen, den interdisziplinären Dialog und die Einbindung frischer Kräfte vermissen lässt. Und das finde ich ausgesprochen schade.

Am besten ist es das Papier selbst zu lesen und sich einen persönlichen Eindruck zu verschaffen. Auf eine Diskussion darüber freue ich mich.

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