Die zwei Teufelskreise der Frauenförderung

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„Um ein tadelloses Mitglied einer Schafherde sein zu können, muss man vor allem eines sein: ein Schaf.“ (Albert Einstein)

Vor einiger Zeit schrieb ich, dass wir das Thema „Frauenförderung“ besser ganz bleiben lassen sollten. Das war natürlich ironisch und überspitzt formuliert. Was ich damit sagen wollte (und will): Es bringt nicht nur nichts Frauen* einem i. d. R. auf männliches Vorankommen zugeschnittenen System anzupassen. Eine solche Vorgehensweise ist sogar doppelt kontraproduktiv.

Wir stehen vor z. T. riesigen Herausforderungen in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Diese können wir aus meiner Sicht nur mittels kognitiver Vielfalt und im Schulterschluss aller Menschen und Geschlechter bewältigen. Wem dies zu sehr nach sozialromantischer Utopie klingt, für die oder den will ich gerne einen Blick auf die aktuell vorherrschende Praxis werfen.

In der überwiegenden Mehrheit unserer Organisationen herrscht signifikant hoher Anpassungsdruck an ein normatives Umfeld. Dieses Umfeld wird nicht selten als Meritokratie bezeichnet, etwa in der Quotendiskussion: Wir wollen die Besten, nicht die Weiblichsten, heißt es da gerne einmal.

Was nach Gerechtigkeit klingt, ist jedoch ein gewaltiger Trugschluss, denn aufgrund von Rahmenbedingungen, Historie und vorherrschender Mechanismen sind diese Umfelder vornehmlich patriarchal geprägte Systeme. Und diese sind keineswegs auf das Vorankommen der Besten ausgelegt – wie es ja eine Meritokratie versprechen würde -, sondern bevorzugen bestimmte Gruppen und Individuen.

Von Normen und Männern

Sehr viele Unternehmen und Organisationen sind in erster Linie auf das Vorankommen von Männern* ausgerichtet. Entsprechende Hierarchien und Organisationskulturen sorgen dafür, dass das auch so bleibt. Da ist der Ruf nach Frauenförderung im Sinne reiner Systemanpassung der denkbar schlechteste Ansatz.

Denn wenn Frauen (und weitere „Andersartige“) in einem solchen System Karriere machen wollen, bleibt ihnen zunächst nur die eigene Anpassung an die vorherrschende (männliche) Norm. Passen sie sich nicht an, scheitern sie häufig an den einschlägigen Parametern: „zu emotional“, „fehlende Durchsetzungskraft“ et al. Das ist männliches Framing. So weit, so bekannt.

Diese Parameter stehen jedoch nur stellvertretend für ein viel tiefer gehendes Problem. Frauen haben im Wettbewerb um Einfluss, Gestaltungsmacht und Spitzengehälter signifikante Nachteile gegenüber Männern, was viele Studien belegen. Frauen werden demnach negativer bewertet, wenn sie vermeintlich geschlechteruntypische Emotionen und Verhaltensweisen zeigen. Frauen, die in traditionell männlichen Domänen erfolgreich sind, werden als weniger sympathische und wünschenswerte Führungskraft gesehen. Und Manager*innen weniger erfolgreicher Unternehmen werden weibliche Attribute zugeschrieben, während der Erfolg männlich geprägt ist.

Reflexe der Anpassung

Es liegt also durchaus nahe, wenn Frauen Anpassung an die männliche Norm als Mittel der Wahl identifizieren. Sehr häufig geht dies einher mit entsprechenden Coaching-Maßnahmen und verschiedenen Karriere-Tipps, wie etwa Modulation der Stimme, Anpassung der Kleidung, Kultivierung von Aggressivität u. v. m. Wer diesen Weg einschlägt, erschafft dadurch für sich eine Rolle, eine Projektion von zu erfüllenden Erwartungshaltungen auf das ja willige, da ambitionierte Selbst. Und das hat Konsequenzen.

Denn der Aufwand für die Frau diese und weitere Anpassungsmaßnahmen durchzuführen ist enorm. Zusätzlich birgt es ein Kontinuitäts-Dilemma: Je stärker die Anpassung, desto größer wird das Delta zwischen dem authentischen Ich und der eingenommenen Rolle. Und je größer dieses Delta, desto höher der Energiebedarf, den es zur Aufrechterhaltung dieser Rolle braucht. Das ist nicht zuletzt ein energetischer Teufelskreis, der unmittelbar in ein Burnout münden kann.

Was dabei auf der Strecke bleibt, ist alleine volkswirtschaftlich kaum zu beziffern. Doch hinter vermuteten und tatsächlich erhobenen Zahlen und Statistiken verbergen sich viele schwere Einzelschicksale. Gleichzeitig verschwendet ein System, das derart auf Anpassung setzt, riesiges Potenzial; und das, obwohl der Business Case für Diversity längst steht.

Leaky Pipelines

Frauen verlassen Organisationen in großer Zahl vor Erreichung höherer Macht- und Führungspositionen. Man hat für dieses Phänomen die Bezeichnung „leaky pipeline“ eingeführt. Leider wird nur in den seltensten Fällen hinterfragt, was die wahren Gründe für die Kündigung waren. Zu oft gibt man sich mit dem Euphemismus „Work-Life Balance“ zufrieden. In diesem Zusammenhang ist der Satz „Frauen wollen ja gar nicht“ nur ein müder Versuch das Systemversagen zu kaschieren. In Wahrheit wollen die Frauen selbstverständlich. Wir lassen sie nur nicht.

Dabei können wir es uns eigentlich gar nicht leisten auf eine so große Anzahl von Menschen zu verzichten, die aus den Systemen herausfallen: weil sie ausgebrannt sind, frustriert und demotiviert. Wir geben ihnen einen Namen: „Minderleister*innen“. Aber wir widmen uns ihnen nicht in der gebührenden Form. Denn das wäre eine Führungsaufgabe. Eine Führungsaufgabe, die sehr zeitintensiv ist. Diese Zeit haben wir meist nicht. Die Mär vom Fachkräftemangel ist in diesem Zusammenhang übrigens nur ein weiterer, sehr tragischer Euphemismus.

Fallen diese Frauen dann aus der Pipeline heraus, verschwinden sie zunächst auch aus dem Fokus unserer Wahrnehmung. Auch und gerade die sehr gut ausgebildeten und erfahrenen Arbeitnehmer*innen treten zunächst an die Peripherie unserer Systeme, wo sie sich mehr oder weniger mühsam in veränderten Arbeitsumgebungen abmühen, häufig entkoppelt von wirklicher Wertschöpfung (im betriebswirtschaftlichen Sinne). Das ist ein weiterer volkswirtschaftlicher GAU.

Es geht beim Thema der „System-Dropouts“ übrigens nicht nur um Frauen. Denken wir nur einmal an introvertierte Menschen. Schätzungen zufolge sind 20 bis 50 Prozent der Menschen mehr oder weniger stark introvertiert. Die maßgebliche Norm hingegen verlangt meist: Sei durchsetzungsstark, sei überzeugend, sei laut. Auch hier herrscht also Anpassung pur.

Dabei ist Durchsetzungsstärke, um bei diesem Beispiel zu bleiben, keine exklusive Fähigkeit extrovertierter Menschen. Es gibt unzählige Varianten diese Eigenschaft mit unterschiedlicher Persönlichkeit aufzuladen. Bei weitem nicht alle sind laut oder aggressiv.

Klassische Karrierewege

Das Problem ist: Für Führungspositionen muss man sich in irgend einer Form empfehlen. Man muss auf sich aufmerksam machen. Die Kriterien, nach denen dies erfolgt, sind nahezu allesamt auf männliche Systemerwartung ausgelegt. Beförderungen sind v.a. außerhalb von Tariforganisationen (aber auch z. T. dort) eine Sache von Beziehungen und einem persönlichen Wirkungsgrad, der das männlich-extrovertierte Paradigma klar im Vorteil sieht.

Zeitgenoss*innen, deren Fähigkeiten eher in leiseren, subtileren Kontexten zu Tage treten, finden hingegen kaum Berücksichtigung. Das Ergebnis ist die so genannte „Homosoziale Reproduktion“: Wir bekommen mehr desselben. Somit verstärkt sich das normative System selbst. Das ist der andere Teufelskreis.

Zwei Teufelskreise

Es laufen also zwei Teufelskreise ineinander: Zum einen gibt es ein organisationales System, das sich selbst permanent reproduziert und seine Systembedingungen zur alleinigen Norm erklärt (Homogenität statt Vielfalt), ausgehend von der Haltung, Frauen seien defizitär und müssten erst passend gemacht speziell und aufwändig „gefördert“ werden. Auf der anderen Seite versuchen sich Frauen mit fast allen Mitteln diesen systematischen Erwartungshaltungen anzupassen statt ganz bewusst andere Impulse, Fähigkeiten, Sicht- und Arbeitsweisen einzubringen (Konformität statt Potenzialentfaltung).

Beide Teufelskreise bedingen und verstärken sich gegenseitig und verursachen so eine falsche Wahrnehmung bei den mächtigen Männern. Diese gehen ganz selbstverständlich davon aus, dass Frauenförderung das Mittel der Wahl zur Ausmerzung weiblicher Defizite ist. Gleichzeitig entwickeln sie ein gefährliches Missverständnis: Denn schaffen es trotz all der Förderung doch wenige bis keine Frauen in die Top-Führungspositionen, so bestätigen sie dadurch das „falsche“ Narrativ vom „Sie wollen ja nicht“. Vera Schroeder schreibt u. a. dazu übrigens einen exzellenten Essay in der heutigen Samstagsausgabe der Süddeutschen Zeitung. Hier der Link [Paid] dazu.

Sytemwechsel

Statt also auf althergebrachte Weise, etwa mittels Coaching, Mentoring oder Workshop, zu mehr Frauen in Führungspositionen zu kommen, plädiere ich für einen grundsätzlichen Paradigmenwandel: Bauen wir unsere Systeme so, dass Frauen (und alle anderen) ihr Potenzial optimal entfalten können. Davon profitieren schließlich alle.

Und es wäre ein entscheidender Schritt hin zu notwendiger Systemveränderung und weg von der (falschen) Perspektive auf ein vermeintliches Führungsdefizit bei Frauen. Dazu braucht es eine konsequente, ja schonungslose Analyse der wahren Gründe für eine leaky pipeline. Wir müssen auf jeder Ebene wissen wollen, warum dort zu wenig weibliche Führungskräfte ankommen.

Und wo ein solcher Wille ist, tun sich bekanntlich auch Wege auf. Wir brauchen gleich mehrere davon.

 

Sind wir wirklich die 99 Prozent? Über Branko Milanovics Buch „Global Inequality“.

Gelegentlich lese ich ein Buch, das meine Sicht auf bestimmte Sachverhalte ergänzt und manchmal sogar grundsätzlich verändert. Aktuell ist das der Fall bei Branko Milanovics „Global Inequality. A New Approach For The Age Of Globalization“. Bereits die allererste Abbildung im Buch verändert die eigene Perspektive auf die Globalisierung.

Denn während wir vom Verlust der Mittelschicht zumindest eine grobe Ahnung haben, fällt uns die Einordnung solcher nationalen Phänomene in einen globalen Kontext eher schwer. Milanovic stellt diesen Bezug her, indem er Einkommens-Daten zwischen 1988 und 2008 analysiert und ins Verhältnis setzt. Die zugrunde liegende Währung ist dabei der Internationale Dollar von 2005.

Interessant sind die Koordinatenpunkte A, B und C. C bezeichnet diejenige Percentile der Weltbevölkerung, von der wir im Zuge der globalen Finanzkrise ab 2008 häufiger hörten. Es geht um das eine Prozent, das den Großteil des weltweiten Vermögens auf sich vereint. Im Gegensatz dazu stehen die 99 Prozent, die sich in den Organisationen der verschiedenen Grassroots-Bewegungen (wie etwa der Occupy-Bewegung) Gehör zu verschaffen versuchten.

Milanovic zeigt jedoch auf, dass man den Blick auch und vor allem auf zwei Kohorten richten sollte, an denen klar ersichtlich ist, wer von der Globalisierung vor der Finanzkrise profitieren konnte – und vor allem: wer nicht. Bei Ersteren handelt es sich um die vierte bis fünfte Decentile weltweit (Punkt A in der Abbildung). Es sind wohlgemerkt nicht die reichen Schichten in ihren Ländern. Es handelt sich vielmehr um die aufstrebenden Mittelklassen der Länder Asiens, allen voran China, aber auch Indien, Thailand, Vietnam und Indonesien. Sie sind die Profiteure der Globalisierung in den 20 Jahren nach 1988. Milanovic bezeichnet sie als „emerging global middle class“.

Im krassen Gegensatz zu diesen Menschen steht derjenige Teil der Weltbevölkerung, den Milanovic „the lower middle class of the rich world“ nennt. Absolut gesehen verfügt diese Gruppe zwar über ein deutlich höheres Einkommen als die zuvor betrachteten asiatischen Kohorten, ihr Zuwachs an Realeinkommen betrug im betrachteten Zeitraum jedoch faktisch null. Es handelt sich um diejenigen OECD-Bürgerinnen und -Bürger, die mit ihren Einkommen in der unteren Hälfte ihrer jeweiligen Länder rangieren. Sie haben von der Globalisierung nicht profitiert.

Wenn man nun den Blick hebt und Milanovics Betrachtungs-Perspektive auf das Phänomen der Globalisierung anwendet, so zeigt sich unmittelbar, weshalb es in westlichen Zivilisationen derzeit zu solch dramatischen politischen Verwerfungen kommt. Die Abgehängten begehren auf – und sie haben mehrere Feindbilder für sich entdeckt.

Ohne an dieser Stelle in die Tiefe zu gehen (es steht noch ein Großteil der Lektüre von Milanovics Buch aus), lässt sich doch ableiten, dass der Schlüssel zu gesellschaftlicher Einigung vor allem darin besteht den bisher nicht von der Globalisierung profitierenden Bevölkerungsgruppen Zugang zu Einkommenssteigerung und entsprechender Teilhabe zu ermöglichen. Gleichzeitig täten wir gut daran diese Zusammenhänge sicht- und erlebbar zu machen, so dass die wahren Profiteure der Entwicklungen erheblich stärker in die Pflicht genommen werden können.

Update: Pünktlich zum Davoser Weltwirtschaftsforum, bei dem wie in jedem Jahr schlaue Menschen Männer über die Welt palavern, hat die Entwicklungshilfeorganisation Oxfam ihren Ungleichheitsbericht veröffentlicht. Danach besitzen die acht reichsten Menschen Männer der Welt mehr als die ärmste Hälfte der Weltbevölkerung.

Keine Opposition, nirgends – warum Arbeitgeber mit uns (fast) machen können, was sie wollen

Wir sollten mal eine Grundsatzdiskussion führen. Über Arbeit. Und über Nicht-Arbeit.

Letzteres heißt ja gerne mal „Life“ und wird häufig im Zusammenhang mit Balance diskutiert. Findige Geister sprechen inzwischen gar von der „Work-Life-Integration“. Doch egal, ob Balance oder Integration: Etwas läuft ziemlich schief.

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Wir alle haben Verantwortung. (Bild: unsplash.com)

Die ganze „New Work“-Debatte droht mittlerweile zur Lachnummer zu werden. Denn viel mehr als eine Worthülse ist bisher nicht daraus geworden. Auch Versionsnummern scheinen nicht weiterzuhelfen: „Arbeit 4.0“ ist jedenfalls noch nicht so recht angekommen in der so genannten Mitte unserer Gesellschaft.

Aber wer ist schuld daran? Wer trägt die Verantwortung dafür, dass wir Arbeit noch immer anhand z.T. Jahrhunderte alter Kriterien beurteilen? Wieso ist noch nicht mehr passiert?

Sind es ausbeuterische Unternehmen, unwürdige Arbeitsbedingungen, Nichtvereinbarkeit oder ähnliche Missstände? Ja. Auch. Ganz bestimmt sogar. Aber wenn wir ganz ehrlich sind, dann müssen wir anfangen zuzugeben: Wir tragen selbst einen nicht unerheblichen Teil an Verantwortung. Denn wir sind träge, inkonsequent und ängstlich. Und das spiegelt sich in vielen Aspekten wider.

Wir beschweren uns seit Jahren über unsere Arbeitgeber, die keine Führungsqualität bieten, die uns das Berufsleben zur Hölle und unser Privatleben zum Eiertanz werden lassen.

Wir jammern tagein, tagaus über das Gehetze, das unseren Alltag erodiert, das uns von A nach B hasten und keine Zeit zum Innehalten lässt.

Wir meckern pausenlos über das liebe Geld, das uns nicht ruhen lässt, das Monat um Monat für Rastlosigkeit und Dauerstress sorgt.

Wir hadern stets mit der Vielzahl an Anforderungen, die uns bestimmt, die keine Entspannung möglich und uns Schritt für Schritt mürbe macht.

Wir huldigen dem Prinzip „Lean in“, wir kaufen Ratgeber für erfolgreiche Karrieren, wir lassen uns coachen und liften und optimieren, und landen am Ende doch im Hamsterrad fauler Kompromisse und energetischer Offenbarungseide.

Aber das Schlimmste ist: Wir lassen all das mit uns machen. Warum nur?

Weil wir träge sind. Wir wählen lieber den bekannten Schrecken als den Aufbruch zu Neuem. Das mag evolutionär erklärbar sein, besser oder richtiger wird es dadurch nicht.

Weil wir feige sind. Wir reißen die Klappe im Freundes- und Familienkreis auf, geben jedoch klein bei, sobald es darum geht vor Vorgesetzten vehement für unsere Belange einzustehen.

Weil wir unreflektiert sind. Wir leben die Leben unserer Eltern, weil es einfacher ist Bekanntes nachzuahmen statt neues Terrain zu erkunden.

Ich war sicherlich auch schon feige, träge oder unreflektiert. Aber ich gebe mich nicht damit zufrieden. Ich hadere regelmäßig mit mir und bestimmten Umständen. Aber ich internalisiere das nicht ausschließlich. Statt dessen hinterfrage ich meine Reaktion und mein Verhalten in bestimmten Situationen. Ich checke meine Haltung und überprüfe, ob und wie ich sie in Aktion umsetze. Manchmal laufe ich dabei gegen Wände. Doch grundsätzlich versuche ich stets in eine mehr oder weniger sachliche Opposition zu den Umständen zu gehen, die ich als nicht akzeptabel identifiziere – für mich und auch für andere.

Es ist daher an der Zeit eine klare Haltung zu entwickeln und sich in bestimmten Bereichen zu emanzipieren. Die Argumente sind dabei auf unserer Seite.

Wir sind keine Bittsteller, sondern wertvolle Arbeitskräfte, die sich für die Belange ihrer Unternehmen mit ganzer Energie einsetzen.

Wir widmen einen großen Teil unserer Lebenszeit dem Arbeiten und stellen unsere eigenen Ansprüche hinten an.

Wir sind kreativ, tragen mit Leidenschaft und Engagement Entscheidungen mit und setzen uns für das Vorankommen unserer Arbeitgeber ein.

Warum verhandeln wir dann nicht auf Augenhöhe?

In den vielen, vielen Debatten über Vereinbarkeit und Balance des beruflichen und privaten Lebens stelle ich immer wieder fest, dass viele, insbesondere Frauen, die Argumentation ihrer Arbeitgeber quasi in vorauseilendem Gehorsam übernehmen. Man müsse ja auch das Unternehmen verstehen, es sei schließlich nicht so leicht eine junge Mutter/einen jungen Vater zu ersetzen, die Kolleg_innen würden ja dadurch belastet, etc. etc.

Und dann frage ich mich, wie sich denn jemals etwas ändern soll, wenn selbst viele der Betroffenen nicht Willens sind für ihre Belange einzustehen. Als Gegenargument höre ich dann, dass das ja alles nicht so einfach sei, dass man schließlich Verpflichtungen (gerne Hypothek oder Kinder) habe, dass nicht jeder Mensch sich so leicht mit sowas tue, etc. etc.

Mich frustriert das: diese Trägheit, dieses nur bis zum eigenen Tellerrand blicken, diese vielen faulen Kompromisse, dieser Selbstbetrug. Veränderung funktioniert nicht ohne eigenes Zutun. Engagement für die Sache ist nicht immer nur mit Annehmlichkeiten verbunden. Doch an dieser Stelle müssen wir unsere Komfortzonen verlassen. Das sind wir uns selbst, unseren Familien und den nachfolgenden Generationen schuldig.

Fragen wir doch einmal umgekehrt: Was wäre dass Schlimmste, das passieren könnte, wenn wir uns in bestimmten Situationen nicht fügen, wenn wir nicht klein beigeben, wenn wir uns nicht verstecken? Diese theoretischen „worst case“ Szenarien machen in den allermeisten Fällen Mut, da die in der Regel gar nicht so schlimm sind wie wir ursprünglich dachten.

Es lohnt sich immer für die eigenen Belange und diejenigen anderer Benachteiligter einzutreten. Erst, wenn wir selbst bereit sind gegen Widerstände oder Übervorteilungen anzutreten, erst dann erwerben wir auch das Recht uns über Missstände zu beklagen. Schließlich müssen alle Beteiligten ihren Teil beisteuern um größere Veränderungen zu ermöglichen.

Ich wünsche mir daher mehr Streitbarkeit in der Sache, mehr Blick über den eigenen Horizont hinaus und mehr Reflexion über die eigene Rolle und Haltung. Und ich wünsche mir konstruktive Opposition, auch im Angesicht etwaiger persönlicher Nachteile. Es geht schließlich um unsere Zukunft und die unserer Kinder.

Digitales Deutschland: System-Upgrade dringend empfohlen

Anfangs hieß es noch schlicht „Internet“, später dann Web 2.0. Und wenn man aktuell über informationstechnologischen Fortschritt spricht und dabei zum Ausdruck bringen will, dass man mitreden kann, muss man mindestens eine Versionsnummer verwenden, die mit einer Vier beginnt. Gleichzeitig hat sich eine Begrifflichkeit etabliert, die vor allem auf ein kontradiktorisches Antonym zu „analog“ setzt: Es ist vielfach nur noch die Rede von „digital“ und von „dem Digitalen“.

Es geht um nichts Geringeres als um die Veränderung von Wirtschaft, Industrie und Gesellschaft durch (digitale) Technologien. Für die dem Digitalen immanente Veränderung hat sich zudem gemeinhin der Begriff der Digitalen Transformation etabliert. Und dieser beinhaltet alles, was an Unsicherheit, Angst oder auch Hoffnung und Aufbruchstimmung mitschwingt. Letztendlich sagt er jedoch nur sehr wenig aus.

Bevor dieser Text nun gleich aufmerksamkeitsökonomischen Schiffbruch erleidet oder ein abschätziges „tl;dr“ in der Kommentarspalte landet: Es geht mir nicht um Fortschrittspessimismus oder gar Nestbeschmutzung der Digitalen Gesellschaft. Im Gegenteil. Es geht darum, dass bei allem Kampf um die Deutungshoheit inmitten einer digitalen Revolution eines viel zu häufig aus dem Fokus der Debatte zu verschwinden droht: der Mensch. Weiterlesen

Stillstand und Frustration, statt Aufbruch und Mitgestaltung: Politik und digitale Gesellschaft haben ein Problem!

Deutschland im September 2014. Alexander Dobrindt (CSU) ist „Internet-Minister“, Günther Oettinger (CDU) designierter EU-Kommissar für die Digitale Wirtschaft, die AfD zieht in die Landtage von Sachsen, Thüringen und Brandenburg ein. Auf der wichtigsten Branchenveranstaltung der Digitalen Wirtschaft in Deutschland dominieren wie eh und je die Buzzwords – diesmal „Native Advertising“ und „Content Marketing“ -, während die „Nachwuchs-Digitalen“ sich in den Facebook-Timelines von Sponsoren zum Kommentar-Papagei-Affen machen lassen, nur um an Tickets für angesagte dmexco-Parties zu kommen. Inhalte, Werte? Fehlanzeige.

Das hat alles nichts miteinander zu tun? Das ist pure Polemik? Doch und nein. Mich quält der Antrieb, der hinter all diesen Phänomenen der Gegenwart steckt. Stagnation, Ignoranz, Oberflächlichkeit. Die sog. Digitale Gesellschaft genügt sich selbst im „Wir hier, ihr draußen“, während die überwiegende Mehrheit in unserem Lande angesichts von Zukunftstechnologien und Politik Skepsis bis hin zu aggressiver Ablehnung an den Tag legt.

Die digitalen Dampfplauderer nutzen die Trägheit des Jetzt zur Verordnung immer gleicher Rezepte (siehe dmexco-Buzzwords) und Beratungsprodukte (cui bono?). Die dmexco-Macher starten eine Digital-Messe mit einer Abfolge grauer Herren mit politisch-korrekten Statements im Konferenz-Programm. Die viel zitierten Millennials sind gefangen zwischen Anklage und Selbstverteidigung. Und die Trends von heute werfen erste Schatten auf ein Morgen, das wir uns weder vorstellen, noch ganz offensichtlich gestalten wollen.

Auf politischer Ebene versagen die etablierten Parteien und treiben die Frustrierten in die Arme von Bauernfängern. Ich selbst bin einigermaßen froh aktuell keine Wahl vor der Brust zu haben: Es gibt schlicht keine einzige Partei (mehr), die auch nur annähernd das Personal oder das Programm hat, das mir entspricht. Die Grünen waren es einst – sie sind bis zur Unkenntlichkeit entstellt. Einzig eine geplante Ausgründung aus der (völlig indiskutablen) FDP mit Bezug auf die liberalen Werte der 70er Jahre macht mir Hoffnung; und gleichzeitig Angst, da es wieder nur ein zeitlicher und programmatischer Rückbezug zu sein scheint.

German Angst, Zukunftsangst, Panoptismus. Wie auch immer man es definiert, benennt oder einzugrenzen versucht: Aufbruch und Optimismus sind kaum zu erkennen. Die Piraten sind das parteigewordene pars pro toto eines Dilemmas, das seine Ursachen in einer riesigen Verunsicherung weiter Teile der Gesellschaft hat. Der Mehrheit der Menschen ist schlicht nicht mehr klar, welchen positiven Einfluss die Technologien der Gegenwart auf ihre ganz persönliche Zukunft haben können.

Wenn wir keine Antworten geben, die auf die unmittelbaren Bedürfnisse der Menschen eingehen, dann versagt ein System, das die Kluft zwischen Politik, (digitaler) Wirtschaft und Gesellschaft nicht überbrücken hilft. Das Resultat ist Rückzug und Ablehnung: von Technologien, Parteien, Instanzen und Akteuren.

Diese Kluft wäre eine riesige Chance für neue Bündnisse, auch auf politischer Ebene. Für Menschen, denen die Sache wichtiger ist als ihre Vita, ihr Business oder ihr Geldbeutel. Nicht nur Unternehmen brauchen Change-Agents, auch eine Gesellschaft braucht Identifikationsfiguren für einen digital dominierten Struktur-Wandel. Diese Figuren heißen nicht Dobrindt, Oettinger, Gabriel oder Lindner. Und die Mechanismen sind nicht die der Politik alten Zuschnitts.

Holt die jungen, frischen und motivierten Leute nach vorne. Zwingt sie nicht durch die Mühlen eines Politikbetriebs, sondern gebt Ihnen eine Bühne, auf der sie sich wohlfühlen, auf der sie Impulse geben können. Schafft Netzwerke jenseits von Ego und (männlich geprägtem) Dominanzverhalten. Wir brauchen dringend neue Ideen, neue Institutionen und Bühnen für den wirklichen Wandel.

Karstadt – (m)ein persönliches Aufnimmerwiedersehen

Ein wenig überrascht war ich schon, als ich die Meldung las, dass Breuninger jüngst zum drittbesten Kaufhaus der Welt gewählt wurde – hinter Selfridges (UK) und Macy’s (USA). Ich muss allerdings zugeben, dass ich Breuninger aus eigener Anschauung nur aus meiner (lange zurückliegenden) Studentenzeit in Würzburg kenne. Meine Überraschung rührt auch eher daher, dass es hierzulande offensichtlich eine Warenhauskette mit Potenzial gibt.

Dieses Potenzial spricht man den beiden großen Warenhausbetreibern in Deutschland gemeinhin ab, wobei die Metro-Tochter Kaufhof insgesamt vergleichsweise gut dasteht. Karstadt ist das Problem. In der vergangenen Woche schmiss Eva-Lotta Sjöstedt nach nur vier Monaten als Geschäftsführerin das Handtuch. Grund sind offenbar sehr unterschiedliche Vorstellungen zwischen Management und Gesellschaftern hinsichtlich (dringend benötigter) Investitionen.

Nun will Mehrheitsgesellschafter Nicolas Berggruen Karstadt wohl an seinen Mitgesellschafter abstoßen. Der österreichische Immobilieninvestor Signa, der neben den Luxushäusern Oberpollinger (München), KaDeWe (Berlin) und Alsterhaus (Hamburg) bereits mehr als 20 Karstadt-Immobilien besitzt, könnte die restlichen Kaufhäuser der Gruppe wohl für einen symbolischen Euro erwerben. Eine weitere Option wäre eine Übernahme durch Kaufhof, was die Metro-Gruppe jedoch ablehnt. Die SZ (Nr. 158 vom 12./13.7.14) mutmaßt, dass dafür ohnehin nur etwa 20 (von mehr als 80) Filialen in Frage kämen.

Wie konnte das passieren? Wie konnte eine so fest mit deutschen Einkaufsstraßen verbundene Warenhaus-Marke wie Karstadt in eine so verzweifelte Lage geraten? Die Situation um Nicolas Berggruen und Signa ist sicherlich nicht unkompliziert, soll aber hier keine größere Rolle spielen. Viel mehr interessiert mich, welche Fehler bei Karstadt selbst gemacht wurden und werden. Ich glaube nämlich, dass ein Blick auf die Historie und Gegenwart des derzeitigen Karstadt-Dramas stellvertretend für die Probleme eines Großteils des stationären Handels sein dürfte.

Meine Perspektive dabei? Die des interessierten und engagierten Verbrauchers. Ich gehe (bzw. ging) nämlich grundsätzlich ganz gerne zu Karstadt. Genauer gesagt ist (bzw. war) Karstadt sogar fast immer meine erste Anlaufstelle beim Offline-Shopping. Ja, richtig gelesen: beim Offline-Shopping. Denn der große Unterschied zu früher ist, dass Online die Regel und der Laden die Ausnahme für mich ist. Ich verschone den geneigten Leser an dieser Stelle mit Ausführungen zu Multichannel & Co., mir geht es um meine ganz persönliche Wahrnehmung als Kunde in der Karstadt-Filiale.

Erste Anlaufstelle ist (bzw. war) Karstadt für mich vor allem deshalb, weil das Sortiment sehr breit ist. Ich bekomme nahezu alles unter einem Dach und muss nicht von Geschäft zu Geschäft laufen. Früher wurde man für eine solche Haltung mitunter kritisiert, da man den übrigen Einzelhandel auf diese Weise verschmähte. Heute ist Online-Shopping angeblich die Wurzel allen Übels, da die innen- und innerstädtischen Strukturen auf diese Weise zerstört würden. Beide Argumentationen halte ich für ausgemachten Blödsinn.

Zurück zu Karstadt, genauer gesagt: zur Kölner Filiale auf der Breite Straße. Und hier merkt der erfahrene Karstadt-Shopper: Der Mann hat Glück, denn in der Provinz (nicht abwertend gemeint) ist Karstadt nicht unbedingt gleich Karstadt. Köln also. Im Untergeschoss befindet sich eine gehobene Lebensmittelabteilung („perfetto“). Früher bestach sie durch qualitativ einzigartiges Obst/Gemüse, doch diese Zeiten scheinen längst vorbei. Immer öfter mache ich die Erfahrung, dass entweder vieles ausverkauft oder das Obst und Gemüse von durchschnittlicher Qualität ist. Auch kann ich mich nicht daran erinnern, dass der Marktleiter früher angeschimmelte Erdbeeren oder von Fliegen übersäte Tomaten toleriert hätte. Das Know-how an der Fleischtheke (und ich bin wahrlich kein Experte) ist manchmal unterirdisch. Kurz: Es gibt für mich keinen Grund mehr bei perfetto einzukaufen.

Womit ich zum Personal komme. Das wäre m.E. der mit Abstand größte Wettbewerbsvorteil des stationären Handels am Point-of-Sale gegenüber allen Formen des Distanzhandels. Ich bleibe im Konjunktiv, denn an dieser Stelle herrscht die größte Diskrepanz zwischen Chance, Anspruch und Realität vor. Um eines gleich klarzustellen: Die Probleme sind durch die Konzernführung und das höhere Management verursacht, die/der einzelne VerkäuferIn ist das schwächste Glied in dieser Kette. Man merkt den bedauernswerten Menschen zunehmend eine große Verunsicherung an, und unter dieser leidet die Motivation gewaltig.

Ich möchte freundlich bedient werden; nicht mehr, aber auch nicht weniger. Ich verzichte an dieser Stelle auch auf ein (vermutlich unfaires) Benchmarking mit japanischen Supermärkte, bei denen der Kunde tatsächlich noch König oder eher Kaiser (pun intended!) ist. Ich verlange auch keine permanente Bauchpinselei oder übertriebene Unterwürfigkeit. Ich möchte einfach nur netten, guten und aufmerksamen Service. Doch das ist offenbar bereits zu viel verlangt.

Meine frustrierenden Besuche bei Karstadt kann ich inzwischen nicht mehr an zwei Händen abzählen. Manchmal ist das auch lustig (wenn man Galgenhumor mag), denn ich achte gelegentlich ganz bewusst darauf, mit welchen Tricks sich die MitarbeiterInnen aus meiner Shopping-Umgebung entfernen, sobald ich ihren Bereich oder ihre Abteilung betrete.

Natürlich gab 8und gibt es auch tolle Erfahrungen bei Karstadt (erst vor ein paar Wochen wurde ich exzellent zum Thema Pfannen beraten) und sicherlich gehe ich nach wie vor gelegentlich in eine Karstadt-Filiale. Aber das Problem ist: Es würde mir nichts fehlen, wenn es Karstadt nicht mehr gäbe. Dass ich dies einmal in solcher Deutlichkeit sagen würde, betrübt mich selbst.

 

Dieser Blogpost wurde zunächst bei der deutschsprachigen Huffington Post veröffentlicht.

Männer, beteiligt Euch endlich!

Warum wir die Debatte über Karriere, Familie und Beziehungen nicht allein den Frauen überlassen dürfen

Frauen sind in Diskussionen um Vereinbarkeit von Beruf und Familie, Karrierefragen oder partnerschaftliche Beziehungen inzwischen fast unter sich. Einerseits ist es natürlich sehr erfreulich, dass Frauen hier voranschreiten. Doch wie sinnvoll ist eigentlich eine Debatte, an der 50 Prozent der Bevölkerung kaum teilnimmt? (Notwendige) gesellschaftliche, politische und kulturelle Veränderungen sind nur möglich, wenn sich Frauen und Männer gleichermaßen daran beteiligen.

Ein Mann, kein Wort

Ich persönlich wundere mich seit vielen Jahren. Da ist die Debatte um weibliche Führungskräfte (durch Quote oder ganz organisch) in vollem Gange, Themen wie Vereinbarkeit oder Work-Life-Balance werden auf höchster politischer und gesellschaftlicher Ebene diskutiert und junge, großartig ausgebildete Frauen strömen mit klaren Vorstellungen von beruflicher Zukunft und Karriere auf den Arbeitsmarkt. Und die Männer?

Die Männer tauchen ab. Schlimmer noch: Manche Exemplare ätzen und trollen in den Facebook-Kommentaren einschlägiger Frauenmagazine, dreschen digital wie analog Stammtisch-Parolen aus dem patriarchalen Pleistozän oder, und das ist bei weitem der häufigere Fall, enthalten sich jeglicher Äußerungen. Schweigen. Nicht nur im Walde, sondern auf ganzer Linie.

Dabei sind all die Themen, die derzeit fast ausschließlich Frauen (be)setzen, so überaus klar im Interesse von uns allen. Und genau hier läge auch einer der Schlüssel zum gesellschaftlichen Konsens: Die Geschlechter könnten über eine wiederentdeckte gemeinsame Argumentationsrichtung echten Wandel herbeiführen.

Es geht dabei nicht nur darum, dass Männer sich zu weiblichen Standpunkten äußern oder dass sie zu den unterschiedlichsten Vorschlägen Stellung beziehen. Es geht darum, dass Männer endlich darüber nachzudenken beginnen, wie sie sich eine ganz konkrete Zukunft im Spannungsfeld Individuum, Familie und Karriere vorstellen.

Neue Debatte oder neue Männer?

Aber wie bekommt man die Männer zurück in die Debatte und hinter eine (gemeinsame) Sache? Argumentativ sind sie den Frauen häufig unterlegen, nicht zuletzt auch durch ihren selbstverschuldeten zeitlichen Rückstand. Ihre Reaktion ist leider noch zu oft: Trotz. Aber da müssen wir jetzt eben durch. Schließlich war der Weg der Frauen in eben diesen Diskurs hinein ungleich steiniger als der, der nun vor uns engagierten und reflektierten Männern liegt.

Es braucht dazu neue Podien, neue (gemischte!) Netzwerke und vor allem eine neue Tonalität. Weder ist das bereits erwähnte hormongesteuerte Stammtisch-Blabla zielführend, noch bringen uns atmosphärische Fehlleistungen wie aus der Klischee gewordenen Siebzigerjahre-Männergruppe weiter. Ein Mann bleibt ein Mann, auch und gerade wenn er sich diesen Themen öffnet. Es schadet seiner Männlichkeit nicht, ganz im Gegenteil.

Betrachtet man die aktuelle Diskussion, könnte man jedoch den Eindruck gewinnen, nur Frauen sei es daran gelegen ihre beruflichen Ansprüche mit einem ausgeglichenen Familienleben überein zu bringen. Oder als wünschten sich nur Frauen Unternehmenskulturen, die sich durch Respekt für den Einzelnen, Flexibilität bei Arbeitszeitmodellen und eine gute Balance aus Fördern und Fordern auszeichnen. Aber all diese Themen müssen im Kern doch auch im Interesse der meisten Männer liegen.

Welche Themen sollten wir also schleunigst gemeinsam angehen? Nur einige Beispiele:

  • Seit einigen Jahren besteht die Möglichkeit Elternzeit zu nehmen. Nach wie vor wird man als Mann zwar dafür gelobt, wenn man davon ein oder zwei Monate für sich beansprucht; doch geht es darum sich hier tatsächlich gleichberechtigt – also zum Beispiel eineinhalb Jahre lang – einzubringen, erntet man spätestens im Gespräch mit dem Vorgesetzten fassungslose Blicke.
  • Männer auf Spielplätzen und in Mütter(!)cafés sind nach wie vor Exoten, und so werden sie z.T. auch behandelt. Männlichkeit sieht (noch) anders aus und hat viel zu oft (noch) mit der Wahrnehmung als Vollzeit arbeitender Hauptversorger zu tun.
  • In Unternehmen herrscht Vollzeit- und Präsenz-Wahn wie vor 100 Jahren. Arbeitsteilung, Produktionsfortschritte, Flexibilisierung durch Digitalisierung zum Trotz: In den allermeisten Branchen hat sich wenig bis nichts daran geändert:Leistung(sbeurteilung) bleibt abhängig von der investierten Zeit vor Ort.
  • Beförderungen in hierarchisch organisierten Unternehmensstrukturen erfolgen noch allzu oft nach den immer gleichen Regeln. Man muss zunächst einmal funktionieren, leisten und: im System arbeiten statt am System zu verbessern. Dann erst erfolgt der nächste Karriereschritt. Individuelle Modelle oder persönliche Ansprüche? Besser nicht, die Beurteilung könnte darunter leiden.

 Es gibt noch zahlreiche andere Bereiche, aber diese Beispiele verdeutlichen bereits eines: Männer und Frauen können die drängenden Themen mittelfristig nur gemeinsam angehen. Die Frage lautet jetzt: Bekommt die Debatte die Unterstützung von uns Männern, damit wir gemeinsam diejenigen Rahmenbedingungen schaffen können, innerhalb derer wir alle zukünftig leben und arbeiten wollen? Es ist höchste Zeit, dass wir Männer uns beteiligen.

Dieser Beitrag erschien zunächst in der deutschsprachigen Huffington Post.

„Business Chauvinismus“ – Männlich geprägte Arbeitswelten als Hemmschuh für (nicht nur weibliche) Karrieren

In einem Artikel der Huffpost war jüngst die Rede davon, dass es in deutschen Startups kaum Frauen gebe. Der Bundesverband Deutsche Startups (BDS) spricht von gerade einmal 13 Prozent Gründerinnen. Eigentlich waren wir doch schon weiter.

Der aktuelle Diskurs, etwa um den „female factor“, um Vereinbarkeit von Mutterschaft und Job oder um die Frage und Herausforderung, wie es gelingen kann, dass mehr Frauen in Führungspositionen kommen, ist sehr notwendig. Es rumort gewaltig, es tut sich glücklicherweise auch eine Menge. Doch scheint der Weg noch weit zu sein.

Ich persönlich habe mich immer für die Rolle (und Positionierung) von Frauen in Beruf, Politik und Gesellschaft interessiert: im Studium, als ich im Rahmen meiner geisteswissenschaftlichen Lektüre mit Gender Studies in Berührung kam. Im ersten Job, als es galt im Team zu bestehen. Als Führungskraft in zahlreichen Gesprächen mit Kolleginnen und Mitarbeiterinnen.

Ab und zu begegnet mir übrigens auch Skepsis, Unverständnis oder sogar (ganz selten) Aggression, wenn ich (m)eine Meinung zu eben jener Debatte äußern möchte. Es scheint, als würde mir gewissermaßen chromosomensatzbedingt Inkompetenz unterstellt. Oder wollen die Frauen die Deutungshoheit über dieses Thema behalten? Ich hätte großes Verständnis dafür. Dennoch: Ich habe durchaus eine Perspektive, die ich zur Debatte beisteuern möchte.

Zunächst eine Beobachtung.

Falsche Zurückhaltung am Arbeitsplatz

Vor allem die Situationen, in denen Mitarbeiterinnen mich als ihren Vorgesetzten um mehr Gehalt oder flexiblere Arbeitszeitregelungen ersuchten, haben mich nachhaltig beschäftigt. Es war nämlich beinahe stets so, dass entsprechende Forderungen überaus zurückhaltend, sehr vorsichtig und nicht selten schlecht vorbereitet an mich herangetragen wurden. Mich hat das jedes Mal so irritiert, dass ich die Gespräche umgehend dazu nutzte den entsprechenden Kolleginnen ins Gewissen zu reden – und das eher im Sinne eines „Das kannst Du besser!“ als aus der Rolle des Vorgesetzten heraus.

Vermutlich war ich dabei nicht allzu diplomatisch, aber mein Punkt war: Die Mitarbeiterinnen waren beinahe ausnahmslos exzellent und haben einen tollen Job gemacht – ihre Forderungen waren daher mehr als berechtigt. Was mich ärgerte, war vor allem die Tatsache, dass sie eben jenen Forderungen nie den entsprechenden Nachdruck verliehen.

Was müsste also passieren?

Frauen müssen selbstverständlicher einfordern

Die Geister, die ich rief: Fortan haben die Kolleginnen nie wieder Zurückhaltung geübt, sondern stattdessen geradeheraus die ihnen zustehenden Leistungen eingefordert. Meine Verhandlungsposition war gewissermaßen (und das auch noch von mir selbst) geschwächt. Doch im Gegenzug erhielt ich genau das, was ich immer wollte und forderte: selbstbewusste Mitarbeiterinnen, die aufgrund flexibler Rahmenbedingungen gerne und weit überdurchschnittlich engagiert für „mein“ Unternehmen arbeiteten. Das ist erheblich mehr wert als den ein oder anderen Euro bei Gehaltsverhandlungen zu „sparen“.

Um endlich auf eine gewisse Augenhöhe zu gelangen bedarf es vor allem einer Haltung, die ich gerne als „einfordernde Selbstverständlichkeit“ bezeichne: ein gesundes Maß an Bewusstsein seines eigenen Wertes für ein Unternehmen. Forderungen nach mehr Gehalt etc. sind schlicht berechtigt, wenn man gute Leistungen erbringt. Kaum ein Mann verkauft sich in solchen Situationen übrigens unter Wert, eher im Gegenteil. Und mit Blick auf die Unternehmen lautet meine Meinung und zugleich meine Mahnung: Loyalität ist keine Einbahnstraße.

Einfordernde Selbstverständlichkeit bei der Durchsetzung eigener Ansprüche und Interessen ist nur ein Aspekt, wenn wir über Augenhöhe zwischen Frauen und Männern und über erfolgreiche weibliche Karrieren sprechen. In der aktuellen Diskussion kommt mir diese Frage der individuellen Haltung zu kurz. Nicht zuletzt durch meine Rolle als Beirat und (neuerdings) Jury-Mitglied beim Karriere-Contest PANDA ist in mir aber die Erkenntnis gereift, dass der weibliche unternehmerische Nachwuchs bereits mit den Füßen scharrend und voll von eben jenem Selbstbewusstsein einfach… macht. Hier kommt wahrlich Großes auf uns zu: eine völlig neue Generation sehr selbstbewusster und exzellent ausgebildeter Frauen.

Netzwerken als weibliche Domäne

Es gibt eine ganze Reihe von großartigen Netzwerken von und für Frauen. Bei PANDA hatten wir die Diskussion, ob es denn eine angemessene Reaktion auf traditionell männliche Bünde, Netzwerke oder Seilschaften sei, wenn Frauen ihrerseits nun „female-only“ Veranstaltungen ins Leben riefen. Grundsätzlich glaube ich das nicht. Vermutlich ist es jedoch aktuell tatsächlich noch ein Weg um eine Art Gegenpol zu schaffen. So lange man dabei nicht den Fehler macht, die gleiche „Du musst leider draußen bleiben“-Atmosphäre zu kreieren, die an den geschlossenen Männerrunden zu Recht kritisiert wird; und so lange man es nicht verpasst diese Netzwerke für Männer offen zu halten, ist dagegen nichts einzuwenden. Dem eigentlichen Kern des Problems muss man sich aber über Geschlechtergrenzen hinweg und lösungs- statt konfliktorientiert nähern.

Und man darf die Ursachen nicht aus dem Blick verlieren:

Das eigentliche Dilemma: Wirtschaft ist männlich

Die Diskussion um Frauen in Führungspositionen geht (nicht nur in der Tech-Branche) in die falsche Richtung. Ständig ist die Rede davon, dass man (!) Frauen in die Lage versetzen müsse, in derzeitigen Unternehmenslandschaften als erfolgreiche Führungskräfte zu reüssieren – qua Quote, per unternehmenseigenem Förderprogramm, durch entsprechende Vorbilder oder sonst irgendwie. Dieser Ansatz geht am eigentlichen Problem vorbei.

Es wäre nachgerade fatal, wenn man lediglich versuchen würde Frauen als Führungskräfte in aktuell „männlich“ geprägte Unternehmenskulturen zu positionieren. Denn genau diese vom Shareholder Value, Ellbogen-Chauvinismus und entsprechenden Seilschaften geprägten Kulturen sind es, die es unbedingt zu verändern gilt.

Als Mann fühle ich mich zunehmend unbehaglich in Unternehmen, die vom Geist unendlichen Wachstums, konkurrenzorientierter Kollegenschaft, anreizsystemfokussierter Mitarbeiterentwicklung und unbedingter Effizienzsteigerung geprägt sind. Das wird dem Menschen nicht gerecht, der Jahre seines Lebens investiert um in solchen Kontexten „Karriere“ zu machen.

Wir brauchen insgesamt ein „weiblicheres“ Wirtschaften, und nicht nur weibliche Führungs(nachwuchs)kräfte, die in männlichen Systemen erfolgreich sein können. Wir brauchen eine grundsätzliche, ehrliche Diskussion darüber, wie sich persönliche und gesellschaftliche Ansprüche mit denjenigen von Shareholdern und Unternehmen vereinbaren lassen. Wenn sich nur Menschen an die Unternehmensbedürfnisse anpassen, verpassen wir eine Chance auf echte Transformation. Und das ist kein ideologisches Gefecht weiblich vs. männlich, sondern der dringend notwendige gesamtgesellschaftliche Wandel.

Dieser Beitrag erschien zunächst bei der deutschen Huffington Post.

New Leadership: So muss der Chef von morgen sein

Führung und Leadership sind Thema mannigfaltiger theoretischer Auseinandersetzungen. Dabei prallen Theorie und Realität zum Teil heftig aufeinander. Die Probleme liegen durchaus im Detail und in der Persönlichkeit der jeweiligen Protagonisten. Es ist nicht ganz einfach sich der Materie im Zwischenmenschlichen zu nähern, aber es geht. Die eigentliche Herausforderung wartet jedoch erst dann, wenn echte Veränderung angestoßen werden soll. Und es braucht dringend Veränderung.

Revoluzzer, nein danke!

Meine eigene Bewusstwerdung war ein langer Prozess. Anfangs war ich der festen Überzeugung, als junger Arbeitnehmer müsse man sich der (vor)herrschenden Kultur anpassen. In der Realität war das nicht nur eine Herausforderung, es ging schlicht nicht; jedenfalls nicht über längere Zeit. Die Mechanismen, denen man mit zunehmendem Aufstieg innerhalb größerer Unternehmen ausgesetzt ist, absorbieren auf vielfältige Arten und Weisen die eigene Widerstandskraft und Urteilsfähigkeit gegenüber anderen sowie die Reflexionsfähigkeit gegenüber sich selbst und seiner eigenen Motivation.

In der Regel bleiben einem Angestellten für den Fall, dass es im beruflichen Kontext vermehrt zu Situationen kommt, die den eigenen Überzeugungen zuwiderlaufen, genau zwei Möglichkeiten: Anpassung oder Rebellion. Letztere ist ein kurzes und äußerst zweifelhaftes Vergnügen, da sie selbst robusteren Naturen den Einsatz nahezu sämtlicher Kraft- und Energiereserven abverlangt. Daher verstehe ich den Reflex der Anpassung nur zu gut. Gleichzeitig prangere ich ihn vehement an.

Nur zur Erklärung: Anpassung und Kompromissfähigkeit haben nichts gemein. Letztere ist eine der wichtigsten Voraussetzungen für Erfolg in Teams, die aus mehr als einer Person bestehen. Erstere hingegen ist die Wurzel allen Übels. Es gehören nämlich immer zwei dazu, wenn etwas signifikant falsch läuft: einer, der das Fehlerhafte initiiert und einer, der das mit sich machen lässt. Die Gründe für schrittweises oder abruptes Klein-Beigeben sind mannigfaltig – aber alle haben mehr oder weniger, direkt oder indirekt, mit Geld und/oder Angst vor Status- und Sicherheitsverlust zu tun.

Gerader Rücken als Meta-Softskill

Was aber, wenn sich hinter einer solchen „Bestechungskultur“ doch noch ein Rest an Widerstand in einem regt? Muss man den auch noch über Bord werfen? Oder wäre es nicht langsam an der Zeit Nicht-Angepasstheit positiv umzudeuten und für die Sache zu nutzen, anstatt Selbige mit enormem Aufwand und unter erheblichen Kollateralschäden für Mitarbeiter und Unternehmen sukzessive und geradezu monomanisch auszumerzen? Ich finde: Es ist höchste Zeit.

Dazu braucht (oder besser: bräuchte) es aber vor allem eines, nämlich Menschen, sprich: Führungskräfte, die so etwas auch können. Vorgesetzte, die Kritik nicht als persönlichen Angriff und Unzufriedenheit nicht sofort als destruktiv empfinden; die zum Kern des Problems vordringen und eine Lösung finden wollen; die Führung als Auftrag verstehen und die angetreten sind innerhalb ihres Wirkungsbereichs eine Atmosphäre der Offenheit und Konstruktivität zu etablieren.

Doch diese Spezies, die dem Konzept Führung wieder ihren ursprünglichen Sinn verleihen könnte (und die sich vom reinen Manager unterscheiden müsste), ist selten, ihre wenigen Vertreter vom Aussterben bedroht. Insbesondere in Zeiten konstanter Change-Prozesse, fragwürdiger Leadership-Konzepte und disruptiver Bedrohungen ganzer Branchen und vermeintlich etablierter Geschäftsmodelle sind echte Führungspersönlichkeiten Mangelware. Wenn alles super läuft, sind Konsens, Basisdemokratie und Arbeit an der Unternehmenskultur keine Leistung. Erst in der Krise zeigen sich echte Führungsnaturen.

Role Models

Führung, oder Leadership, wird seit vielen Jahrhunderten kontrovers diskutiert. Die Regalmeter einschlägiger Literatur sind endlos und zu jeder Zeit konkurrieren verschiedene Auffassungen, Moden und Stile von Führung miteinander.

Fast jeder erinnert sich an einen charismatischen Lehrer oder Vorgesetzten, für den er gerne die extra Meile gelaufen ist, der ihn zu Höchstleistungen angespornt hat und dem man bedingungslos vertrauen konnte. Welche Eigenschaften (neudeutsch: Soft-Skills) waren es, die eben jene Menschen auszeichneten? Authentizität und Integrität darf man hier getrost nennen. Doch wie entstehen solche Attribute, welche Kultur und welchen Nährboden braucht es, damit sie gedeihen und entsprechende Persönlichkeiten hervorbringen können?

Vielleicht müssen wir zunächst versuchen uns von dem immensen Druck freizumachen, der heutzutage in unschöner Regelmäßigkeit, nämlich mindestens quartalsweise, auf uns wirkt. Wir arbeiten ja längst nicht mehr an langfristigen Lösungen, sondern nur noch an immer kürzer werdenden Intervallen von Shareholder-Befriedigung. Das ist falsch und menschenunwürdig, das muss aufhören. Und genau dafür brauchen wir Führung.

Gute Vorgesetzte filtern den Druck und wirken ihm entgegen, bevor sie sich mit ihren Teams denjenigen Lösungen widmen, die positiv aufs große Ganze einzahlen. Druck nach unten weiterzugeben mag menschlich nachvollziehbar sein – es ist das Gegenteil von guter Führung.

Leadership hingegen schafft Transparenz, Vertrauen, Verbundenheit, Sicherheit und Motivation. Autorität für die Führungskraft ergibt sich aus der Reaktion der Mitarbeiter auf integre und authentische Führung. Und dieses Vertrauensverhältnis hat auch denn Bestand, wenn die Zeiten mal härter werden.

Dieser Beitrag erschien zunächst bei der deutschen Huffington Post.